Andrea Czak, MA, Geschäftsführende Obfrau Verein Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A
Vor Kurzem sind die neuen EU-SILC Daten für das Jahr 2021 veröffentlicht worden. Sie wurden mit Spannung erwartet, weil sie zum ersten Mal Corona-Effekte auf das Einkommen widerspiegeln. Die Ergebnisse aus Sicht der Alleinerzieher*innen und ihrer Kinder sind erschütternd und eine Schande für einen Wohlfahrtsstaat wie Österreich:
- Im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung hat die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung bei Ein-Eltern-Haushalten im Zeitverlauf zugenommen; eine Entwicklung, die sich durch die Folgen der COVID-19-Pandemie noch verstärkt hat und die Schere immer weiter auseinandergehen lässt (aktuell beträgt die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung in der Gesamtbevölkerung 15%, während sie bei den Ein-Eltern-Haushalten 36% beträgt).
- Mit 48% sind fast die Hälfte aller Kinder, die in Ein-Eltern-Haushalten aufwachsen, von Armut oder Ausgrenzung betroffen. Das sind rund 70.000 Kinder, mehr als die siebendgrößte Stadt Österreichs – nämlich Villach – Einwohner*innen hat.
Die jüngsten Preissteigerungen infolge der hohen Inflation verschärfen diese Situation noch einmal dramatisch.
Wenn dann noch die Belastungen eines Pflegschafts- oder Unterhaltsverfahrens hinzukommen, ist das für die Alleinerzieher*innen kaum mehr zu stemmen. Die Einkommensschwelle, die zum Bezug von Verfahrenshilfe berechtigt, ist viel zu niedrig angesetzt. Denn auch mit einem Monatsnettoeinkommen von 1.500 Euro sind Anwalt bzw. Anwältin, Gutachten, etc. eines jahrelangen Verfahrens nicht finanzierbar. Wegen hoher Verschuldung ist nicht selten Langzeitarmut die Folge, wenn nicht sogar auf Lebenszeit absehbar.
Pflegschafts- oder Unterhaltsverfahren haben sich in den vergangenen Jahren jedoch nicht nur finanziell als eine große Belastung für Alleinerzieher*innen herausgestellt. Das zeigt die steigende Anzahl von Anfragen, die bei FEM.A und anderen Beratungsstellen dazu eingehen.
Insbesondere Mütter berichten von besorgniserregenden Entwicklungen an Österreichs Familiengerichten, wo Vätern Gewalt großzügig verziehen wird, Kinder zu Kontakten zu diesen Vätern gezwungen werden und Müttern Kinder „wegen zu enger Bindung“ zwangsweise abgenommen werden. Die jüngste Studie des deutschen Soziologen Dr. Wolfgang Hammer, in die auch Fälle aus Österreich eingeflossen sind, ist zu dem Schluss gekommen, dass Dogmata wirken, die so mächtig sind, dass sie Fakten und sogar Gesetze aushebeln.
Dr. Hammer hat folgende vier Dogmata identifiziert:
- „Mütter entfremden dem Vater nach der Trennung/Scheidung die Kinder.“
Dies wird gestützt mit dem PAS, dem „Parental Alienation Syndrom“, nachdem Mütter „Verfügungsgewalt“ über die Kinder ausüben, was dazu führe, dass Väter ihre Kinder nicht oder nur wenig sehen. PAS wurde von den relevanten internationalen Wissenschaftsverbänden als unwissenschaftliches Konzept abgelehnt, in Spanien wurde es verboten, in Italien hat es das Höchstgericht als „Nazi-Theorie“ bezeichnet, in den USA hat man schon begonnen, legistisch gegenzusteuern (Stichwort: „Kayden‘s Law“). - „Gewalt und sexueller Missbrauch werden nur als Vorwand genutzt, um den Umgang von Vätern mit ihren Kindern zu verhindern.“
Dies wird in der österreichischen Ausbildung gestützt durch die Lehre der „Pädagogischen Geister“, nach denen die Mütter Anschuldigungen nur erheben würden
– aus Angst , die Liebe des Kindes an den Vater zu verlieren;
– aus Schuldgefühlen, dem Kind durch die Trennung den Vater weggenommen zu haben; oder
– aus Wut gegenüber dem Vater wegen dessen Verfehlungen in der Beziehung.
Dabei gibt es keine qualifizierte Diagnosemethode dieser Pädagogischen Geister, sondern – Zitat aus einer Fortbildung: „Da kommt man im Gespräch schon drauf“.
- Kinder brauchen Elternteile zu gleichen zeitlichen Anteilen, um gut aufwachsen zu können.
Studien zeigen im Gegenteil, dass es keinen Zusammenhang zwischen Kindeswohl und der Ausgestaltung der Kontakte gibt, sondern das Kindeswohl vielmehr Ergebnis eines zugewandten und empathischen Erziehungsstils ist. - Mütter wollen Kinder und Geld, Väter sind Zahlmeister.
Die Zahlen sprechen in Österreich eine gänzlich andere Sprache: 36% der Kinder getrennt lebender Eltern erhalten gar keinen Unterhalt, weder vom unterhaltspflichtigen Elternteil noch vom Staat in Form von Unterhaltsvorschuss oder Halbwaisenrente. Die durchschnittliche Unterhaltszahlung beträgt 304 Euro pro Monat, während die Kosten pro Kind in Alleinerziehenden-Haushalten durchschnittlich 900 Euro betragen (dies hat die Kinderkostenstudie des Sozialministeriums 2021 ergeben).
Aktuell arbeitet das Justizministerium an einer Novelle des Kindschaftsrechts. Es möchte damit insbesondere auch die Situation für gewaltbetroffene Frauen und Kinder verbessern. Leider besteht keine Bereitschaft, den Blick auf die wirkenden Dogmata zu lenken. Wenn dies jedoch nicht geschieht, wird die sehr unbefriedigende heutige Situation auch in der Zukunft weiter fortgeschrieben und nicht nur keine Verbesserung für Gewaltopfer erzielt, sondern ihre Situation sogar verschärft werden.
Wir müssen uns daher zwingend den Fragen widmen,
- durch welche Einfallstore diese Dogmata in den gerichtlichen Verfahren ihre Wirkung entfalten und wie wir sie schließen können; und
- wie es passieren konnte, dass diese Dogmata Fakten, wissenschaftliche Erkenntnisse und sogar Gesetze außer Kraft setzen und wie wir das künftig verhindern können.
Um die Öffentlichkeit über die Problematiken in Pflegschaftsverfahren aufzuklären, haben die Organisationen ÖFR, AÖF und FEM.A die Initiative „Wir für Kinderrechte“ gebildet, die einen losen Zusammenschluss ohne rechtlichen Status darstellt. Die Forderungen der Initiative sind auf der Website https://kinder-rechte.at/ nachzulesen.