Von Matthias Meisner
Zuweilen ist es ein erbitterter Kampf. Wie die Kinder erziehen nach Trennungen? Auf der einen Seite erfreut sich das paritätische Wechselmodell, auch Doppelresidenzmodell genannt, wachsender Beliebtheit – eine attraktive Lösung vor allem in jenen Fällen, in denen sie einvernehmlich zwischen den Eltern und möglichst auch mit Einverständnis der Kinder vereinbart werden kann. Aber was soll gelten für hochstrittige Eltern? Und warum gibt es Fälle, in denen das Wechselmodell sogar nach häuslicher Gewalt vor den Familiengerichten von einem Elternteil durchgesetzt werden kann?
Betroffene schildern immer wieder groteske Situationen. Eine Mutter aus Sachsen etwa beschreibt, dass zunehmend „der Spieß einfach umgedreht wird, um die eigene Reputation zu schützen“. Das verlaufe so: „Man bezichtigt die Frau gewaltsamer Handlung oder Bedrohung.“ Angeblich „falsche Wortwahl“ der Frau werde als Gewalt definiert, „gegen die man sich ja wehren musste“. Die Frau sagt weiter: „Da Frauen aufgrund verschiedener Umstände existenziell abhängig bleiben, geraten sie auch gerne mal in eine Art Stockholm-Syndrom, wider alle Vernunft.“
Dass die Institutionen – Familiengerichte, Jugendämter – mit der komplexen Sachlage oft überfordert sind, hat die aus Leipzig stammende Autorin Marie von Kuck im März in einem Feature für den Deutschlandfunk beschrieben, „Ihre Angst spielt hier keine Rolle“ . Väterrechtler-Verbände wie der Väteraufbruch für Kinder (VAfK) ordneten das Feature einer „seit Monaten geführten Desinformationskampagne“ zu.
Doch viele Betroffene bestätigen, dass sowohl Jugendämter als auch Familiengerichte immer wieder den Schutz von Kindern aushebeln, wie von Kuck recherchiert hatte. Eine Mutter aus Berlin sagt: „Ich selbst habe leider auch keine guten Erfahrungen mit der Institution Jugendamt gemacht. Anstatt des Kindeswohls wurde auch bei uns die Durchsetzung des Umgangs priorisiert – trotz Gewalt und mit traumatisierenden Folgen.“ Sie fragt: „Mich würde zunehmend interessieren, nach welchen Richtlinien Jugendämter arbeiten und wer diese machtvollen Institutionen kontrolliert?“ Und: „Inwiefern findet häusliche Gewalt bei Umgangsfragen Berücksichtigung? Inwiefern wird die Istanbul-Konvention in der Arbeit des Jugendamtes berücksichtigt?“ Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
Durchgesetzt wird das Wechselmodell vor Gericht nicht selten mit der Behauptung, Mütter würden eine Eltern-Kind-Entfremdung betreiben, der es vorzubeugen gelte. Dennoch betonen selbst Fachleute Einschränkungen, die grundsätzlich das Wechselmodell als Leitbild propagieren. Nina Weimann-Sandig, Soziologieprofessorin an der Evangelischen Hochschule Dresden, schreibt in ihrem neuen Buch „Weil Kinder beide Eltern brauchen“: „Ich beziehe mittlerweile sehr klar Position: Sind Eltern hochstrittig oder nicht in der Lage, eine strukturierte Kommunikation über das Alltagserleben ihrer Kinder zu führen, bietet sich das Wechselmodell aus meiner Sicht nicht an. Vielmehr führt es zu einer kontinuierlichen psychischen Belastung der Eltern wie auch der Kinder und macht es allen Beteiligten schwer, nach der Trennung in einen glücklichen neuen Lebensabschnitt überzugehen.“ Nach Angaben von Weimann-Sandig präferieren vor allem Väter das Wechselmodell. Ein Viertel der Mütter stimme eher widerwillig zu und ein weiteres Viertel müsse aufgrund einer gerichtlichen Anordnung das Wechselmodell akzeptieren. Die Autorin kritisiert „,Hauruck-Verfahren‘, die von manchen Familiengerichten teilweise angeordnet werden“. Sie schreibt: „Über die Kinder wird verfügt, als wären sie Gegenstände.“