Gastbeitrag von Judith Hazdra
Eigentlich schupft Mama alle Termine bei uns – Schule, Kindergarten, Zahnspange, Geburtstagspartygeschenke, Oma fahren, Fußballtraining und Musikunterricht. Papa fährt mich natürlich manchmal hin oder holt mich ab, aber nur, wenn es seine Arbeit erlaubt. Sein Job ist ja auch wirklich stressig.
Irgendwann gab es dann nur noch Stress in meiner Familie. Sie schrien sich an und wir verschwanden in unsere Zimmer. Eigentlich wollte ich das alles gar nicht mitanhören. Ich habe dann ganz laut die Musik aufgedreht oder meine Kopfhörer aufgesetzt. Mein kleiner Bruder hat zu weinen angefangen.
Eines Tages war es soweit. Papa kam nicht von der Arbeit nach Hause. Mama sagte, Papa wohnt eine Weile woanders. Die Weile dauerte ziemlich lang. In der Zeit telefonierte ich mit Papa. Mein Bruder war noch zu klein. Er erzählte, dass alles so schwierig sei. Ich verstand einmal gar nichts.
Dann kam der Tag, als Mama uns sagte, dass sie sich scheiden ließen. Irgendwie fühlte ich eine Bedrückung und Erleichterung. Auf der einen Seite war da eine Entscheidung, die Klarheit brachte, auf der anderen die große Ungewissheit, was das für uns bedeuten sollte.
Bis zu diesem Zeitpunkt kam Papa, wenn er Zeit hatte. Jetzt auf einmal müssen wir zu ihm in seine neue Wohnung. Die ist noch nicht wirklich eingerichtet und Papa sagt, dass alles so furchtbar teuer sei und er jetzt alles neu für uns kaufen müsse. Einkaufen gehen machte Spaß, aber nicht lange. Die restliche Zeit sitzen wir in unserem neuen Zimmer und spielen am Handy. Jedes zweite Wochenende wiederholt sich das Ganze. Manchmal fahren wir zu Oma und Opa und bleiben das Wochenende bei ihnen.
Irgendwie dauert die ganze Scheidung schon ewig lange. Unsere Eltern können sich über vieles nicht einigen. Hauptsächlich geht es ums Geld und die Ferien.
Woher ich das weiß? Wir Kinder haben Augen und Ohren. Die Telefonate sind laut und heftig. So wie Mama reagiert, kann man sich schon denken, was Papa gesagt habe muss.
Wenn es mir zu viel ist, schreie ich meinen kleinen, nervigen Bruder an oder treffe mich stundenlange mit meinen Freundinnen. Mit meiner Mama kann ich gar nicht reden. Sie ist mit sich selbst beschäftigt. Mein Papa hat schon eine neue Freundin, mit der ich gar nicht klar komme. Mein Bruder hat mit ihr nicht so Probleme, sagte sogar einmal Mama zu ihr. Da habe ich ihn ordentlich angeschrien, dass wir nur eine Mama haben, nämlich unsere Mama.
Wenn ich demnächst 14 werde, muss ich nicht mehr zu Papa fahren, wenn ich nicht will. Ich werde aber trotzdem fahren, weil mein Bruder dann auch nicht fahren will und meine Mama wieder Schwierigkeiten bekommt vom Gericht. Wegen jeder Kleinigkeit macht mein Papa „Eingaben“ bei Gericht und Mama muss dort antanzen.
Ich bin so froh, wenn das alles einmal aufhört und ich machen kann, was ich will. Nur um meinen Bruder tut es mir leid. Er kennt seit er klein ist nichts anderes als Streit.
Tolle Kindheit!
Die Autorin
Judith Hazdra lebt und arbeitet in Ottakring seit über 35 Jahren. Die Arbeit mit Kindern bestimmte von Anfang an ihr Leben. Als Pädagogin in einer Wiener Hauptschule, jetzt Mittelschule, fing sie 1985 an und führt bis heute eine Klasse. Dann gründete sie eine eigene Familie, die mittlerweile um einige Enkelkinder angewachsen ist. Die Ausbildung zur Psychotherapeutin folgte fast logischerweise. Seit 2012 ist sie in eigener Praxis tätig. Fast acht Jahre davon war sie auch im Kinderhilfswerk aktiv. In dieser Zeit absolvierte sie auch die Zusatzqualifikationen in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Traumapsychotherapie für Kinder und Jugendliche und Hypnotherapie. Heute unterstützt sie Kinder, Jugendliche und deren Eltern in schwierigen Lebensphasen.