Die nunmehr beabsichtigte gesetzliche Konstatierung der Doppelresidenz ist kritisch zu hinterfragen.
Dass die Doppelresidenz eines Kindes nach modernsten kinderpsychologischen Erkenntnissen nur Vorteile für die Entwicklung eines Kindes bringen würde, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Betreuung in Form eines Doppelresidenzmodelles nur dann dem Kindeswohl am Besten entsprechend ist, wenn gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind. Neben den bekannten Kriterien der Erziehungs-fähigkeit beider Eltern, positive Beziehung des Kindes zu beiden Eltern und auch die Not-wendigkeit, dass jeder Elternteil den jeweils anderen grundsätzlich positiv darzustellen vermag und zu kooperieren, ist wesentlich. Ein hohes Konfliktniveau zwischen den Eltern spricht meiner Ansicht nach gegen die Doppelresidenz.
Seit dem Jahr 2005 wird das Thema der Doppelresidenz diskutiert. Das Für und Wider von JuristenInnen und PsychologInnen miteinander abgewogen. Eine einheitliche Linie gibt es bis heute nicht.
Den Ball ins Rollen gebracht hat der Verfassungsgerichtshof mit seinem „Doppelresidenzerkenntnis“ im Jahr 2015.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hat überrascht. Eine sogenannte Doppelresidenz des Kindes mit abwechselnden und annähernd gleich bemessenen Betreuungsphasen beider Elternteile steht in Widerspruch zur gesetzlichen Voraussetzung der Festlegung eines das Kind hauptsächlich betreuenden Elternteiles (Heim erster Ordnung).
Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es aus entwicklungspsychologischer Sicht keine generellen Bedenken, ein Wechselmodell als zusätzliche Betreuungsalternative nach Trennung der Eltern zu etablieren. Der Gesetzgeber hat aber im Rahmen des KindNamRäG 2013 nachdrücklich die Forderung nach Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die wirksame Vereinbarung einer gleichmäßigen Aufteilung der elterlichen Aufgaben und Rechte zwischen Eltern im Gesetzgebungsverfahren unmissverständlich abgelehnt.
Im Gesetzgebungsprozess vor dem KindNamRäg 2013 wurde die elterliche Vereinbarung einer Doppelresidenz des Kindes intensiv diskutiert, die Intention des Gesetzgebers war eindeutig eine dezidierte Ablehnung einer gleichteiligen Betreuung des Kindes nach der Trennung.
Die gegenteilige Interpretation der Normen durch den Verfassungsgerichtshof im Jahr 2015 ist zu diskutieren. Dabei handelt es sich um ein Spannungsverhältnis zwischen zulässiger Gesetzesauslegung durch Richterspruch und Normenkontrolle. Die Aussage des Verfassungsgerichtshofes steht auch im Spannungsverhältnis zum gesetzlichen Prüfungsmaßstab des § 190 Abs. 2, wonach Vereinbarungen der Eltern über Obsorge/Betreuung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung vorbehalten sind.
Seit dem KindNamRäg 2013 können die Gerichte die Eltern gegen ihren Willen zur Ausübung der Beteiligung verpflichten. Nunmehr beabsichtigt der Gesetzgeber auch eine Anordnung der Doppelresidenz gegen den Willen der Eltern.
Das nicht einmal in der Begutachtung stehende Gesetz lässt viele Fragen offen.
Müssen Voraussetzungen und Bedingungen für ein kindeswohlförderliches Wechselmodell konstatiert werden? Ja!
1.) Hinreichende erzieherische und betreuerische Kompetenz und hinreichende Eltern- Kind-Beziehung
2.) Bereitschaft aller Beteiligten (Eltern und Kinder), ein Wechselmodell zu praktizieren.
Die Bereitschaft der Eltern mit einander zu kooperieren, zu kommunizieren.
3.) Die Regelung muss dem kindlichen Entwicklungsstand und den individuellen Bedürfnissen angepasst sein.
4.) Räumliche Nähe der Elternwohnungen zur Aufrechterhaltung der Kontinuität und sozialer Beziehungen.
5.) Das Konfliktniveau der Eltern darf nicht hoch sein, widrigenfalls Beeinträchtigung des Kindes.
6.) Betreuungs- und Erziehungsverhalten der Eltern müssen ähnlich sein. Es darf mit keiner Entwertung der Erziehung durch den anderen Elternteil verbunden sein. Unterschiede dürfen die Kinder nicht überfordern.
7.) Die Eltern müssen sich auf eine sinnvolle Betreuungsperiode verständigen.
8.) Bereitschaft der Eltern, das Modell an die Umstände und an die Entwicklung des Kin- des anzupassen.
9.) Der finanzielle Mehraufwand muss den Eltern deutlich sein und es muss die unterhaltsrechtliche Komponente geklärt werden.
Die Installierung der Doppelresidenz wird meiner Einschätzung womöglich zu einer Belastung für die Pflegschaftsrichter werden. Im Gesetzesentwurf sind Ausschlusskriterien, wie Alkohol und Krankheiten, angeführt. Auch ein liederlicher Lebenswandel kann ein Ausschlusskriterium darstellen. Die Anrufung der Gerichte, die Gefährdungsabklärungen bei den Jugendwohlfahrtsträgern, der Bedarf an Gutachtern könnte womöglich steigen.
Die Doppelresidenz fordert die höchstmögliche Compliance zwischen Eltern. Gerade in hochkonfliktträchtigen Situationen und konfliktträchtigen werden mehr Schwierigkeiten als Lösungsansätze entstehen. Ist dadurch ein berufliches Fortkommen unmöglich?
Zum Unterhalt:
Die wichtigste Problematik stellt die Unterhaltsregelung dar. Die Unterhaltsregelung stellt aber nicht nur bei einer beabsichtigten Konstatierung der Doppelresidenz eine Problematik dar, sondern auch beim Residenzmodell.
Regelbedarfsätze stammen aus dem Jahr 1970. Nicht nur die derzeit vorherrschende Inflation, sondern die insgesamt steigenden Kosten tragen der Höhe dieses Regelbedarfsatzes nicht Rechnung.
Die derzeitige Rechtslage stellt sich dar, dass der Kindesunterhalt nur in einem einzigen und alleinigen Paragraphen und zwar in § 253 ABGB konstatiert wird. Das heißt, dieses ganz wichtige existenziell relevante Rechtsgebiet wird nur in einer einzigen Bestimmung des ABGB geregelt, welche auch nur die Grundsätze festlegt. Darüber hinaus ist nur die Rechtsprechung gefragt.
§ 231 spricht beim Kindesunterhalt lediglich davon, dass die Eltern zur Deckung ihrer Lebensverhältnisse und angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig bei- zutragen haben. Was bedeutet dieser interpretationsbedürftige Passus?
Der Regelbedarf wird als eine Kontrollgröße herangezogen, um zu verhindern, dass der er- mittelte Unterhalt mittels Prozentsätze zu hoch sei. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Unterhaltsrecht so zu regeln, dass es dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, sich also die Höhe des Unterhaltes bzw. die Bemessungsfaktoren aus dem Gesetz ergeben. Unterhaltsleistung und Betreuungszeit müssen entkoppelt werden oder als Minimalforderung als Teile der Kosten für die Kinder als fixe Alltagskosten bezeichnet werden, Wohnungskosten, Kleidungskosten, Schule, Berufsausbildung, Zusatzausbildung, medizinische Versorgung etc., oder variable Kosten, wie Lebensmittel und Freizeitaktivitäten, von der Betreuungszeit und der Leistungsfähigkeit abhängig machen.
Ungelöst bleibt vom ausgehenden Konzeptionspapier die Frage des Bezuges von Leistungen wie Familienbeihilfe, Förderungen. Diesbezüglich sieht das FLAG eindeutig vor, dass der Bezug dem Elternteil gebührt in dessen Haushalt das Kind überwiegend betreut wird.
Um den Bogen zu der Doppelresidenz zu spannen stellen sich für mich im Laufe der Diskussion immer mehr Fragen. Wer bezieht die Familienbeihilfe, wie wird ein steuerlicher Ausgleich geschaffen, Bezug des Familienbonus? Aber viel wichtiger ist die Frage, wie soll konkret die Aufteilung der Kosten erfolgen. Würde verpflichtend die Kostenteilung von Schulmaterialien etc. im Ausmaß von 1 : 1 (einkommensunabhängig) erfolgen, ist davon auszugehen, dass die Mütter, die naturgemäß einkommensschwächer sind, dies zum Nachteil gereich. Würde eine diesbezügliche Konstatierung nicht den Konflikt auf Elternebene befeuern, ob eine Privat- schule oder eine staatliche Schule besucht werden soll. Wenn ein Elternteil der privaten Schule nicht zustimmt, der andere dies aber gern würde und dem Kindeswohl besser entspricht, wie erfolgt die Sicherstellung der Kostentragung?
Unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf die Kleidung, unterschiedliche Ansichten auf Schulausbildung sind offen und enthält diesbezüglich das Konzeptionspapier keine Antworten.
Wie kann eine gesetzlich exakte Trennung der ökonomischen Frage von der pädagogischen erfolgen? Die Definition eines Lebensmittelpunktes müsste aus dem Gesetz gestrichen werden.
Auch ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die Unterhaltsberechnung dem BGH vorbehalten bleibt und es zu komplexen Modellen kommt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.
Die Situation erinnert an die Schlussszene in Brechts Parabel „Der gute Mensch von Sezuan“:
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.