Heimat bist du antifeministischer Väter?

In der aktuellen Kindschaftrechtsnovelle werden zentrale Forderungen antifeministischer Väterrechtler umgesetzt

Warum die Kindschaftrechtsnovelle aus feministischer Perspektive durchwegs problematisch ist, analysieren die Politikwissenschafterin Judith Goetz und die Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen, Andrea Czak im Gastblog.

Der Artikel ist auf „DER STANDARD – FIPU-BLOG“ erschienen.

Fast zehn Jahre ist es her, seit sich die Forderungen antifeministischer Väterrechtler nach langen und hitzigen Debatten rund um die gemeinsame Obsorge durchsetzen konnten. Obgleich es in den letzten Jahren ruhig(er) um entsprechende Gruppierungen geworden ist, sind sie nie gänzlich von der Bildfläche verschwunden, sondern haben auch erfolgreiche Lobbyarbeit betrieben. Dadurch konnten Väterrechtler nicht nur in Österreich spürbaren Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, sie sind bei der Durchsetzung ihrer Anliegen auch international gut vernetzt. Die Bedenken der Betroffenen hingegen werden nicht gehört.

Neuerungen und Umsetzung von Väterrechtsagenden

Der Einfluss der Väterrechtler zeigt sich auch in Österreich, wo derzeit eine Novellierung des Kindschaftsrechts im Bundesministerium für Justiz ausgearbeitet wird. Mit den Neuerungen soll, wie von Väterrechtlern gefordert, insbesondere bei Trennung der Eltern weiterhin eine intensive Beziehung zu beiden Elternteilen gesetzlich verankert und so angeblich deren Umsetzung erleichtert werden. Zudem ist eine Umwandlung der automatischen gemeinsamen Obsorge in eine automatische gemeinsame elterliche Verantwortung ab der Geburt des Kindes vorgesehen. Anders als von Väterrechtlern gerne vorgetragen, ist der Anteil von Müttern, die Vätern nach der Trennung den Zugang zum Kind verwehren wollen, gering. In den entsprechenden Fällen liegen meist gute Gründe dafür vor, die durch Automatismen auch nicht aus der Welt geschafft werden können.

Insofern müsste bei der automatischen gemeinsamen Obsorge (endlich) zwischen strittigen und nicht strittigen Eltern unterschieden werden, da zweitere in der Regel kein Gesetz brauchen, sondern sich selbst um die Ausgestaltung der Obsorge kümmern. Im Fall von strittigen Ex-Paaren führt auch die gemeinsame Obsorge zumeist nicht dazu, dass Väter tatsächlich mehr Verantwortung übernehmen. Im Gegenteil wird entsprechende Gesetzgebung auch von Vätern herangezogen, um Druck und Kontrolle über die Ex-Partnerin auszuüben. Unter dem Schlagwort Doppelresidenz wird zudem das Narrativ der elterlichen Lasten, die ausgewogen auf beide Elternteile aufgeteilt werden sollen, ausgeweitet. Um den Eltern angeblich die Angst zu nehmen, ihr Kind im Zuge der Trennung zu verlieren, hat das Justizministerium einen Begriff aus der Mottenkiste der Väterrechtler ausgegraben. Übersehen wird dabei, dass Mütter diese Angst zumeist nicht teilen. Vielmehr erhärtet sich der Eindruck, dass der Großteil der Forderungen, für die Väterrechtler seit Jahrzehnten lobbyieren, durch die Novelle erfüllt werden. Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird dabei jedoch nur vorgaukelt, in Wirklichkeit werden auf dem Rücken von Kinderrechten die Interessen der Väterrechtslobby durchgesetzt.

Gemeinsame Obsorge oder was bisher geschah

Im Zuge der letzten Gesetzesnovelle im Kindschaftsrecht (2013) wurden die Rechte der Väter unehelicher Kinder stark erweitert. Seitdem können Väter beispielsweise gegen den Willen der Mutter die gemeinsame Obsorge beantragen und auch ausüben. Zu einer Ausweitung der Pflichten von Vätern im gleichen Umfang kam es hingegen nicht. Mütter haben bis heute keine Möglichkeiten, die Obsorgetätigkeiten von den biologischen Vätern auch einzufordern. Bereits vor zehn Jahren wurde also deutlich, dass die gesetzlichen Änderungen mehr auf die Rechte der Väter als auf jene der Kinder fokussieren.

Die Gesetzesänderung erntete massive Kritik. So meinte beispielsweise die ehemalige Familiensprecherin der Grünen, Daniela Musiol, dass es „absurd und realitätsfremd“ sei, „zu denken, dass eine gesetzlich verordnete gemeinsame Obsorge, auch wenn die Eltern sich streiten, dem Kindeswohl dient“. Auch der ehemalige grüne Justizsprecher, Albert Steinhauser, meinte, dass „das Gemeinsame […] nicht per Gesetz verordnet werden“ könne. Die Grünen befürworteten also eine gemeinsame Obsorge nur dann, wenn sich beide Eltern darauf einigen können.

Evaluation ohne Betroffene und weitere Neuerungen

Nachdem die geplante Änderung jedoch nicht abgewendet werden konnte, setzten sich die Grünen zumindest für eine Evaluation der Neuregelung beziehungsweise ihrer Auswirkungen für Eltern und Kinder im Falle der von Gerichten angeordneten gemeinsamen Obsorge gegen den Willen der Mütter, ein. Tatsächlich wurde diese 2016 auch durchgeführt, jedoch lediglich eine Befragung des Fachpersonals wie Richterinnen, Richter, Jugendamtsmitarbeiterinnen, Jugendamtsmitarbeiter, Familiengerichtsmitarbeiterinnen und Familiengerichtsmitarbeiter berücksichtigt. Die betroffenen Mütter und Kinder hingegen wurden nicht befragt, im Gegensatz zu Väterrechtsorganisationen wie der Plattform Doppelresidenz und Väter ohne Rechte, deren Statements im Evaluierungsbericht erschreckend prominent auftauchen. Noch wunderlicher erscheint angesichts der skizzierten Kritik zahlreicher grüner Politikerinnen und Politiker an der gemeinsamen Obsorge, dass sich die Neuerungen im Kindschaftsrecht, die die grüne Justizministerin Alma Zadić aktuell durchführen will, verblüffende Ähnlichkeit mit den Forderungen aufweisen, die die genannten Väterrechtsorganisationen im besagten Bericht 2016 artikuliert hatten.

Automatismus und Zwang, aber kein Unterhalt

Österreichische Väterrechtler wollen die gemeinsame Obsorge beider Eltern automatisch gesetzlich verankern, auch nach einer Trennung. Im Falle, dass ein Elternteil dagegen sei, müsse dieses entsprechende Gründe nachweisen, was einer Umkehr der Beweislast gleichkommt. Dies würde auch in Fällen zutreffen, in denen die Trennung beispielsweise wegen gewalttätigem Verhalten eines Elternteils den Kindern oder der Expartnerin gegenüber erfolgte. Insofern wird das häufig von Väterrechtlern in Stellung gebrachten Narrativ, Gewalt und sexueller Missbrauch würden nur als Vorwand genutzt, um den Umgang von Vätern mit ihren Kindern zu verhindern, unterstützt. Begründet wird die Forderung damit, dass Unsicherheiten im Vorfeld entsprechender Verfahren ausgeräumt werden könnten, wenn klar wäre, dass die gemeinsame Obsorge einfach weiterginge.

Darüber hinaus fordern Väterrechtler Konsequenzen bei Nichteinhaltung wie beispielsweise Beugestrafen, da es ihrer Meinung nach „freiwillig“ nicht funktionieren würde. Auch hier wird verkannt, dass der Kontakt zwischen dem biologischen Vater und den Kindern nicht in jedem Fall zum Wohl der Kinder beiträgt. Zudem streben Väterrechtler eine gesetzliche Verankerung der Doppelresidenz (Wechselmodell) als zweite Möglichkeit neben dem Residenzmodell an. Ohne eine Regelung der konkreten Ausgestaltung führt dieses Modell jedoch zu maßgeblichen Verschlechterungen für die Mütter. Die Doppelresidenz bedeutet letztendlich eine finanzielle Entlastung der Väter, denn wenn Kinder keinen hauptsächlichen Aufenthaltsort mehr haben und offiziell gleichermaßen bei beiden Eltern wohnen, müssen Väter auch keinen Unterhaltsforderungen mehr nachkommen, egal, wie viel Zeit die Kinder de facto bei ihren Vätern verbringen.

Weiters wollen Väterrechtler erwirken, dass es kein uneingeschränktes Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter gibt. Mütter sollen nicht den Aufenthaltsort des Kindes in ein anderes Land verlegen dürfen, ohne das Einverständnis des Vaters einholen zu müssen. Der Wissenschafterin Mariam-Irene Tazi-Preve zufolge treibt das „Zwangssystem ‚Recht des Kindes auf beide Elternteile‘ […] derzeit unglaubliche Blüten und ändert selten etwas an der Hauptverantwortung der Mutter“. Sie ist außerdem der Meinung, dass Väterrechtler unglaublichen Einfluss auf die Gesetzgebung gewonnen haben, da das „Rechtssystem per se historisch gesehen ein Instrument“ sei, „um Herrschaft durchzusetzen“.  

Im Namen der Kinder

Väterrechtler profitieren von der verbreiteten Vorstellung, das es grundsätzlich ein wichtiges Anliegen sei, die Rechte als Vater ernst zu nehmen und sich für diese zu engagieren. Jene väterrechtsbewegten Gruppierungen, die im deutschsprachigen Raum ab den 1990ern vor allem aus dem Umfeld organisierter Männerrechtler und Maskulisten hervorgingen, hatten jedoch von Beginn an wenig gemein mit der einst progressiven, profeministischen Männerbewegung der 1970er Jahren, die sich für Kritik an Männlichkeit und eine Umwälzung patriarchaler Strukturen einsetzte. Im Gegenteil, Väterrechtler versuchen heute Gleichstellungsdebatten zu beeinflussen, um die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen. Sie imaginieren dabei eine feministische Vorherrschaft in der Gesellschaft, die Mädchen und Frauen bevorteile, sodass nun Buben und Männer die eigentlichen Opfer wären.

Dabei inszenieren sich Väterrechtler als Opfer in nahezu jeder Lebenslage, sei es im Bildungswesen, am Arbeitsmarkt, beim Staatsdienst, im Gesundheitswesen, in den Medien oder auch im Familien- und Scheidungsrecht. Sie geben zwar vor, Verantwortung für ihre Kinder übernehmen zu wollen, ein Blick auf ihre zentralen Forderungen veranschaulicht jedoch ihre antifeministische Agenda und zeigt, dass es ihnen großteils um Rechte geht, die auf niedrigere Unterhaltszahlungen und Kontrollmöglichkeiten über die Ex-Partnerinnen hinauslaufen. Dabei haben Väterrechtler die Wirkungsmacht des Kinderrechtediskurses erkannt. Entlarvend wird beispielsweise der Obmann des Vereins Väter ohne Rechte, Martin Stiglmayr, 2010 im Standard zitiert: „Wir wollen natürlich Väterrechte haben.“  Kinderrechte, die in der Gesellschaft bereits breit diskutiert werden, seien dabei ein „Türöffner“ bzw. „Aufhänger“, der ihnen (Vätern) dazu diene, ihre Interessen durchzusetzen.

Natürliche Väter?

Auch hinter der oft anzutreffenden Forderung nach „wahrer Gleichberechtigung“ verbirgt sich zumeist die Vorstellung einer angeblich „natürlichen“ Verteilung von Macht zwischen den Geschlechtern. Das bedeutet nichts anderes als eine klassische Rollenverteilung, der ein biologistisches Verständnis der vermeintlichen natürlichen Aufgaben von Männern und Frauen in dieser Gesellschaft zugrunde liegt. Aus dem beschworenen „Naturrecht“ leiten Väterrechtler auch ein vermeintliches Recht der biologischen Eltern auf ihre Kinder ab, in dem Kindeswohl an den Kontakt zu den selbigen gekoppelt wird und nicht etwa die Qualität der Beziehung, die Kinder zu ihren Bezugspersonen haben, im Vordergrund steht.

Sie knüpfen damit an die Naturrechtsnarrative christlich-fundamentalistischer Akteure und Akteurinnen an, die in ihren Netzwerken international an der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung und der damit verbundenen patriarchalen Kleinfamilie, bestehend aus (genetischem) Vater, Mutter und Kind(ern) feilen. Neue oder alternative Familien- oder Elternschaftskonzepte abseits von (hetero-)sexistischen Normen, wie dem klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell, finden sich in den Kreisen väterrechtsbewegter Gruppen hingegen nicht. So setzen sich die besagten Väter auch kaum bis gar nicht für bessere Kinderbetreuungseinrichtungen, den Ausbau der Väterkarenz oder zeitgemäße Familienmodelle beziehungsweise Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren, Patchworkfamilien oder Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern ein.

Gerade der Umstand, dass Väterrechtsorganisationen durch ihre Lobbyarbeit politische Entscheidungen maßgeblich mitbestimmen und zudem international vernetzt sind, macht ihren politischen Einfluss durchwegs gefährlich. Umso bedauernswerter, dass sich selbst eine grüne Justizministerin nicht eher an jenen Vätern orientiert, die sich aus einer profeministischen Perspektive mit Benachteiligungen auseinanderzusetzen, ihre eigene Eingebundenheit in privilegierte Dominanz-Strukturen reflektieren und sich gemeinsam mit Feministinnen für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen. (Judith Goetz, Andrea Czak, 10.6.2022)

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin, Gender-Forscherin und Rechtsextremismusexpertin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU), des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus und der Europäischen Feministischen Plattform.

Andrea Czak ist geschäftsführende Obfrau und Gründerin des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A. Der Verein ist eine feministische Lobbyorganisation für Alleinerzieherinnenrechte. Das Hauptanliegen des Vereins ist die Verbesserung der Gesetze im Kindschafts- und Unterhaltsrecht, da das Rechtssystem historisch gesehen ein Instrument ist, um Herrschaft durchzusetzen.