Ist die Doppelresidenz wirklich zum Wohl des Kindes?

Dr.in Judith Kolb, Rechtsanwältin und Mediatorin

Das Familienrecht hat die größte gesellschaftspolitische Bedeutung. Der Gesetzgeber vermeint dem veränderten Verständnis der Eltern-Kind-Beziehung insofern Rechnung zu tragen, indem beabsichtigt wird ein Betreuungsausmaß im Sinne der Doppelresidenz gesetzlich zu konstatieren. Das Doppelresidenzmodell ist im österreichischen Obsorgerecht nicht verankert, da dieses selbst bei geteilter Obsorge von einem „Heim erster Ordnung“ und einem nachgeordneten zweiten Wohnsitz des Kindes ausgeht. Der Gesetzgeber hat das Doppelresidenzmodell sogar ausdrücklich abgelehnt.

Seit dem Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 2013 haben sich massive Änderungen in Obsorgeentscheidungen eingestellt. Während vor 2013 überwiegend die Kindesmütter mit der alleinigen Obsorge betraut waren, ist nunmehr die Beteiligung an der Obsorge als „standartisiert“ zu qualifizieren. Obwohl der OGH als Voraussetzung für die Beteiligung ein „Mindestmaß an Kooperation- und Kommunikationsfähigkeit“ vorsieht, erblicken Pflegschaftsgerichte bereits einen Whatsapp-Austausch als ausreichende Grundlage für die Ausübung der gemeinsamen Obsorge. Ist das „Umgangsbuch“ tatsächlich ein ausreichendes Mittel?

In zahlreichen Pflegschaftsverfahren wird dem Antrag auf Beteiligung an der Obsorge stattgegeben. Die Jugend- und Familiengerichtshilfen empfehlen eine Beteiligung, da es dem „Kindeswohl am besten entsprechen würde“. Die Praxis sieht anders aus. Manche Elternteile verwechseln „Obsorge“ mit einem „Recht auf das Kind“ und setzen sie als Machtmittel gegen den anderen Elternteil ein. Der Gesetzgeber beabsichtigt im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung die gesetzliche Verankerung der Doppelresidenz. Als Familienrechtsanwältin erachte ich die beabsichtigte Schaffung der gesetzlichen Grundlage der Doppelresidenz problematisch. Ich möchte zwei Aspekte herausgreifen:

  • Hochkonfliktträchtige Situation: Welche Anforderungen stellt der Gesetzgeber an die Kommunikation der Eltern? Zu hinterfragen ist, ob die parallele Elternschaft tatsächlich dem Kindeswohl besser entspricht.
  • Unterhaltsrechtliche Konsequenzen: Die Ausübung der Betreuung in Form eines symmetrischen oder asymmetrischen Doppelresidenzmodells kann Kindesmütter in eine existenzielle Notlage bringen.