Mag.a Konstanze Thau, Richterin und Mediatorin
Kinder leiden unter Gerichtsverfahren, die ihre Eltern (auch) ihretwegen führen. Kinder leiden vor allem an überlangen Verfahren.
Ich bin hier als Familienrichterin, als Vorsitzende eines familienrechtlichen Rechtsmittelsenats am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und als Mediatorin. Und die aufgezeigte Problematik ist mir – ebenso wie allen anderen im Familienrecht tätigen Kolleg*innen sehr bewusst.
Es ist unsere primäre Aufgabe als Familienrichter*innen und auch jene der in Familiensachen tätigen Rechtspfleger*innen, das Kindeswohl zu wahren. Indem wir unsere Verfahren so gestalten, dass neben einer umfassenden Erhebung der wesentlichen Umstände die Verfahren auch rasch und effizient geführt werden. Weil eben die Kindheit ein Ablaufdatum hat.
Dazu benötigen wir ein entsprechendes Arbeitsumfeld. Ausreichende und gut ausgebildete Richter*innen, eine effiziente und kompetente Familiengerichtshilfe, ausreichende, effiziente und kompetente gerichtlich beeidete Sachverständige.
Nun gibt es keine Familienrechtsreform, die sich nicht auch dem Ziel verschreibt, das Kindeswohl zu fördern, noch mehr zu fördern als bisher.
Dennoch ist zu beobachten, dass dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wenn der Justiz endlich ausreichende Ressourcen zur angemessenen Bewältigung dieser Verfahren zur Verfügung gestellt werden.
Das KindNamRÄG 2013 und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur Auslegung des Begriffs des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes hat den elterlichen Streit weg vom Streit um die alleinige Obsorge verlagert auf die Frage der hauptsächlichen Betreuung, auf jene des Betreuungsumfangs des Kindes und auf die Doppelresidenz. Und damit auch hin zu der damit untrennbar verbundenen Frage des Kindesunterhalts. Dies sehen wir Familienrichter*innen in den gerichtlichen Verfahren, dies sehen wir in der Mediation.
Und wir sehen auch, dass zumindest in den strittig bleibenden und in den hochstrittigen Pflegschaftsverfahren das durch das KindNamRÄG verfolgte Ziel einer Verfahrensbeschleunigung nicht erreicht wurde.
Zu dem durch das KindNamRÄG 2013 verfolgten Ziel einer qualitativen Aufwertung des Standards ist Folgendes zu sagen: Die Arbeitsweise der Familiengerichtshilfe unterscheidet sich von jener der gerichtlich beeideten Sachverständigen für Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie dadurch, dass die gerichtlich beeideten Sachverständigen – anders als die Familiengerichtshilfe – im klinischen Kontext diagnostisch tätig werden. Weil aus diesen psychologisch-diagnostischen Verfahren wichtige Schlüsse gezogen werden können, weil erhobene Vorwürfe erhärtet, entkräftet oder bewiesen werden können. Aus diesen Beweisergebnissen ziehen Familienrichter*innen wichtige Schlüsse auf die psychische Befindlichkeit von Eltern und Kindern, auf die Ursachen dieser Befindlichkeit, auf die Erziehungsfähigkeit der Eltern, auf die Bedürfnisse der Kinder.
Die Ressourcen der Familiengerichtshilfe sind beengt. In Wien gibt es rund 17 gerichtlich beeidete Sachverständige. Zu wenige und damit viel zu überlastet, wie die Sachverständigen und Familienrichter*innen berichten.
Gerichtlich beeidete Sachverständige für Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es – weil deren Gebühren seit Jahrzehnten nicht angepasst wurden – so gut wie gar nicht.
Eine Behebung dieses Engpasses durch eine Erhöhung der Gebühren potentieller Sachverständiger für Kinder- und Jugendspychiatrie sowie einer Erweiterung der Tätigkeit der Familiengerichtshilfe in Richtung klinisch-psychologischer Abklärung unter Zuhilfenahme von Testdiagnostik wären daher dringend notwendig. Notwendig, damit wir Familienrichter*innen unsere Arbeit – der Bedeutung der Verfahren entsprechend – gut und angemessen erledigen können.
Die Familienrichter*innen und die in Familiensachen tätigen Rechtspfleger*innen sind ebenfalls überlastet. Nicht zuletzt wegen der komplexen Unterhaltsverfahren.
Der Engpass in der Justiz ist auf die fehlenden Stellennachbesetzungen während der letzten Jahre und die fehlende Aufstockung richterlichen und nichtrichterlichen Personals zur Umsetzung der letzten Gesetzesvorhaben zurückzuführen. Das zweite Erwachsenenschutzgesetz ist ein beredtes Beispiel für die fehlende Ausstattung zur Richterschaft zur Umsetzung dieses Gesetzes.
„Die Justiz stirbt einen leisen Tod“, konstatierte BM Jabloner im Dezember 2019. Leise ist dieser Tod mittlerweile nicht mehr.
Mein Anliegen als Familienrichterin deckt sich mit jenem meiner Kolleg*innen und auch mit jenem der Rechtspfleger*innen:
Wir wollen qualitativ gute Arbeit in einer für die Kinder und deren Eltern vertretbaren Zeit leisten können.
Dazu benötigen wir eine qualitativ hochwertige, eine quantitativ ausreichende und auch zeitnah zur Verfügung stehende Expertise gut ausgebildeter und motivierter Richter*innen, Rechtspfleger*innen und Expert*innen.
Die Kinder und Eltern haben – unabhängig von diesem unseren Wunsch – ein durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschütztes Recht auf die Einhaltung dieser Standards.
Wenn wir diese dringend notwendige Ausstattung zur Einhaltung dieser Standards nicht bekommen, gleichzeitig jedoch ständig neue Gesetzesvorhaben mit unveränderter Ausstattung umzusetzen haben, können und werden wir dieses Ziel nicht erreichen. Und den Kindern und ihren Eltern werden damit ihre Grundrechte vorenthalten.
Das im Raum stehende Gesetzesvorhaben, von dem wir inhaltlich alle erstaunlich wenig wissen, soll nun u.a. die Betreuungsdichte der Eltern noch mehr als bisher an die Frage des Kindesunterhalts verknüpfen; soll Betreuungspläne aufstellen. Dass dies mit einer weiteren Mehrbelastung der Kolleg*innenschaft einher geht, ist unvermeidbar.
Zudem ist ein gänzlich neues Unterhaltsrecht in Ausarbeitung. Das nicht weniger komplex zu werden verspricht als das alte. Auch dieses neue Gesetz wird von Rechtspfleger*innen und Richter*innen umgesetzt werden müssen. Auch dieses neue Unterhaltsrecht wird zu einer signifikanten Mehrbelastung der in dieser Sparte tätigen Rechtspfleger*innen und der Familienrichter*innen in zweiter Instanz führen.
Bleibt zu hoffen, dass diesmal die dringend notwendige quantitative und qualitative Ausstattung der Justiz diesen Bedarf tatsächlich entsprechend berücksichtigen wird.
Andernfalls wird die Kindheit vieler Kinder während des/der noch anhängigen Verfahren abgelaufen sein. Von der Belastung der Eltern und dem damit einher gehenden unwiederbringlichen Schaden für Eltern und Kinder ganz zu schweigen.
Die Kindheit hat ein Ablaufdatum. Und deshalb reicht die bloße Absicht, ein den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Eltern gerecht werdendes Gesetz zu erlassen, nicht aus. Erst durch die Sicherstellung der notwendigen und angemessenen Ressourcen kann diese Absicht Realität werden.