Klaudia Frieben, Vorsitzende Österreichischer Frauenring – ÖFR
Vor allem Frauen verzichten im Scheidungsverfahren auf Ansprüche, aus Angst, ihre Kinder zu verlieren. Mit der erzwungenen gemeinsamen Obsorge, der „verordneten“ Doppelresidenz oder einem Kontaktrecht bei häuslicher Gewalt werden diese Probleme sichtbar. Kinder werden in Obsorgeverfahren noch immer als „Druckmittel“ und „Spielball“ verwendet, was weder zum Wohl des Kindes noch der Eltern beiträgt.
Das vorliegende Konzeptpapier der „Elterlichen Verantwortung“ entspricht in vielen Punkten nicht dem Kindeswohl und schränkt vor allem die Rechte von Frauen ein, die auch nach einer Trennung an den Kindesvater gebunden sind, sowohl in ihrem privaten als auch beruflichen Bereich. Das Konzeptpapier ist weder feministisch noch berücksichtigt es in Streitfällen die ökonomische Situation der Mutter, die meistens aufgrund ihrer Hauptverantwortung in der Betreuungsarbeit bereits in der Ehe schlechter gestellt ist. Darauf nimmt das vorliegende Konzeptpapier keine Rücksicht.
Keine automatische Gemeinsame Obsorge
Generell muss die bisherige Regelung, dass die gemeinsame Obsorge nicht in allen Partnerschaftskonstellationen nach der Geburt eines Kindes automatisch erteilt wird, aufrecht bleiben. Das Recht der Selbstbestimmung, ob es eine gemeinsame Obsorge gibt, muss bei der Mutter bleiben.
Bei Scheidung/Trennung, wenn gemeinsame Obsorge „verordnet“ wird: Entscheidungen, die für das Kind zu treffen sind, werden als Druck – vor allem gegen die Mutter – verwendet, um sie zum Verzicht von Ansprüchen zu drängen, die auch das Kind massiv beeinflusst, werden auch ihm die für das Leben notwendigen Mittel entzogen! Frauen- und Kinderarmut sind die Folge, da in den meisten Fällen die Mutter in der ökonomisch schlechteren Situation ist.
Die Obsorge besonders im Umfeld einer Trennung muss dem Elternteil zugesprochen werden, der überwiegend für das Kind sorgt und auch die Fähigkeit dazu hat (also z.B.: Ist der Vater aufgrund seiner beruflichen und privaten Situation fähig, die Verantwortung, das Kind zu betreuen, zu pflegen und zu erziehen, überhaupt fähig, vor allem, wenn er es auch in der Ehe nicht gemacht hat? Es ist zu hinterfragen, was er in der Ehe oder Partnerschaft dazu beigetragen hat. Ist er sowohl zeitlich als auch praktisch dazu in der Lage?).
Keine Doppelresidenz – auch nicht durch die Hintertür
Nicht nur, dass bei der „Doppelresidenz“ das Kind in regelmäßigen Abständen dem eigenen sozialen Umfeld entzogen wird, wären beide Elternteile aufgefordert, den Wohnsitz und den Arbeitsplatz so zu finden, dass auch ein regelmäßiger Wechsel des Kindes zumutbar ist.
Praktischerweise würde das bedeuten, dass das Kind nicht mehr wissen wird, wohin es gehört, vor allem der Elternteil, der bei der Trennung/Scheidung den bisherigen Wohnsitz verloren hat, in der Nähe zu bleiben aber auch der Arbeitsplatz und das berufliche Fortkommen massiv beeinflusst wird. Aus ökonomischer Sicht wird die Frau diejenige, sein, die dabei massiv draufzahlt! Auch der Unterhalt wird sich für sie massiv verringern, was aufgrund der aktuellen Einkommen von Frauen auch hier den Weg in die Frauen- und Kinderarmut bedeutet. Einen Betreuungsunterhalt im Ausmaß von 1/3 und 2/3 sehen wir als die Einführung einer „Doppelresidenz durch die Hintertür“.
Das Konzeptpapier sieht die Möglichkeit von zwei Wohnsitzen vor, was schon auch Probleme beim Zugang von Sozial- und Familienleistungen, die den Hauptwohnsitz als Bedingung haben, mit sich bringen wird. Dazu gehören das Recht auf Elternkarenz, Elternteilzeit, Kinderbetreuungsgeld, Anspruch auf Kinderbetreuungsplatz und Schulplatz, Bezug der Wohnbeihilfe, Familienbeihilfe, usw.
Unterhaltsgarantie
Am 24. September 2017 bekannten sich alle Spitzenkandidat*innen der im Nationalratswahlkampf wahlwerbenden Parteien in der „Elefantenrunde“ von Puls4 zur raschen Einführung einer Unterhaltsgarantie. Kinderarmut entsteht auch dadurch, dass vor allem Väter ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen. Trotz mehrmaliger Ankündigungen ist eine solche Garantie, die es verhindern würde, dass Frauen lange Verfahren durchstehen müssen, nicht umgesetzt.
Zitat Volkshilfe Österreich: „Jedes 5. Kind ist arm“ – Kampagne gegen Kinderarmut
„In Österreich sind 368.000 Kinder und Jugendliche (23%) armuts- und ausgrenzungsgefährdet: das ist jedes 5. Kind. Besonders häufig betroffen sind Kinder und Jugendliche in Haushalten mit mehr als drei Kindern, in Ein-Eltern-Haushalten oder in Haushalten ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft.“
Nein zur Betreuungs-App
Auch durch die Betreuungs-App wird das Kind zur „Ware“, um das man feilschen kann. Die Betreuungs-App könnte dazu missbraucht werden, den Unterhalt, der der Mutter zusteht, massiv einzuschränken. Auch die Anwendung kann missbräuchlich verwendet werden. Daher ist diese Form der Regelung der Betreuung abzulehnen, auch nicht freiwillig.
Gewalt in der Familie ist kein Sideletter
Bisher wurden sämtliche Fragen rund um das Thema Gewalt in der Familie nur als „Sideletter“ behandelt und finden keinen Eingang in das Konzeptpapier. Aus unserer Sicht ist das zu wenig, da in den Verfahren das Thema Gewalt in der Familie zu wenig behandelt wurde.
Evaluierung KindschaftsNamRÄG 2013
Im Zuge der Novelle des KindschaftsNamRÄG 2013 wurde eine Evaluierung mittels Entschließungsantrag im Nationalrat vereinbart. Eine solche hat zwar mit Richter*innen und Rechtsexpert*innen stattgefunden, jedoch nicht – wie vereinbart – mit den Betroffenen, also Eltern, Kindern, Familien. Bevor also eine neue Novelle verfasst wird, sollten zuerst die Auswirkungen auf die Betroffenen in einer Studie evaluiert werden.
Gespräche auf Augenhöhe
In den Vorgesprächen im Justizministerium wird den Erfahrungsberichten der Frauen- und Gewaltschutzorganisationen zu wenig Relevanz beigemessen und das Thema ist noch immer unterrepräsentiert. Man kann nicht ein Gesetz schaffen, das besonders das Leben sehr vieler Frauen beeinflussen wird und nicht mit Frauenorganisationen darüber sprechen. Hier fordern wir von den Verantwortlichen im Justizministerium Gespräche auf Augenhöhe mit Frauenorganisationen und mit erfahrenen Expertinnen der Gewaltschutz- und Opferschutzeinrichtungen.
Wir fordern:
- Keine automatische, gemeinsame Obsorge ex lege
- Hände weg von der Doppelresidenz
- Staatliche Unterhaltsgarantie für jedes Kind
- Nein zur geplanten Betreuungs-App (laut Konzeptpapier!)
- „Gewalt in der Familie“ in Trennungsverfahren darf kein Sideletter sein, sondern muss eine rechtsverbindliche Grundlage haben
- Evaluierungsstudie mit Betroffenen des KindNamRÄG 2013
- Weitere Gespräche auf Augenhöhe mit Frauen-, Gewaltschutz- und Opferschutzorganistionen