Stellungnahme des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie zum Bundesgesetz, mit dem das Kindschafts- und Namensrecht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, das Außerstreitgesetz, das Ehegesetz, das Justizbetreuungsagentur-Gesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsgebührengesetz und das Bundesgesetz zur Durchführung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung geändert werden (Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2012 – KindNamRÄG 2012)
Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Mag. Jelinek!
Wesentliche Aspekte der Neuerungen im präsentierten Entwurfs des KindNamRÄG 2012 werden vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie positiv bewertet, da das Familienrecht mit diesen Regelungen angemessen auf die Veränderungen und Herausforderungen reagiert, denen Kinder, ihre Eltern und ihre wichtigen Bezugs- personen durch den gesellschaftlichen Wandel der Familie und die vielfältigen Formen des Zusammenlebens unterliegen. Das neue Familienrecht bildet die aktuellen Lebensrealitäten von Kindern und ihren Familien relativ realitätsnahe ab. Auch enthält der Entwurf eine Reihe von Regelungen, welche beitragen sollen, innerfamiliäre Konflikte im Trennungsfall besser als bisher zu regeln und damit das Kind vor lang andauernden Streitigkeiten unter den Bezugspersonen zu schützen.
Von eminenter Bedeutung erscheint die Ausformulierung und Spezifizierung des Begriffs Kindeswohl zur Wahrung des Schutzes und der Rechte von Kindern, als leitender Gesichtspunkt im Familienrecht. Es darf angenommen werden, dass die hier vorgenommene Präzisierung zur gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung und zum besseren Verständnis hinsichtlich der Schutz- und Risikobedingungen kindlicher Entwicklung führen werden.
Auch hinsichtlich der einvernehmlichen Obsorge, der Obsorgeregelung für nicht verheiratete Eltern, der Kontaktrechte, der Informations- und Äußerungs- rechte, des Namensrechts, der Wohnsitzregelung und des Vaterschafts- anerkenntnisses enthält der Entwurf begrüßenswerte Neuerungen.
Große Bedenken und Vorbehalte bestehen aber hinsichtlich nachfolgender vorgesehener Regelungen:
- Möglichkeit der gerichtlichen Verfügung der gemeinsamen Obsorge auch gegen den Willen eines Elternteiles und Einführung der Phase vorläufiger elterlicher
Verantwortung in strittigen Fällen; (siehe Seite 3)
- Eine außerhalb der Gerichte angesiedelte Streitschlichtungseinrichtung zur Konfliktregelung fehlt, die es den Betroffenen möglich macht, unter dem Schutz der Verschwiegenheit an der emotionalen Verarbeitung der Elterntrennung und einer bestmöglichen Betreuungsregelung für das Kind zu arbeiten. (Siehe Seite 4)
- Stattdessen Einführung eines hoch komplexen an den Gerichten angesiedelten Helfersystems mit hoher Kompetenz- und Machtfülle, in dem Rollenkonflikte, Überforderungssituationen sowie Abstimmungs- und Koordinationsschwierigkeiten und zugleich die Schwächung der FamilienrichterInnen vorprogrammiert sind; Sind damit nicht auch massive und nicht kontrollierbare Eingriffsrechte in die Autonomie und die Privatsphäre der Familie bei mangelnden Einspruchsrechten und einem Rechtsschutzdefizit für die Betroffenen verbunden? (Siehe Seite 6)
- Die im Entwurfs skizzierte professionelle Hilfe durch Familiengerichtshilfe, BesuchmittlerInnen, BesuchsbegleiterInnen, Kinderbeistand, BeraterInnen etc., erfordert ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation, die u. a. sehr wesentlich Qualifikationserfordernisse umfassen, die auf psychotherapeutische Konzepten beruhen oder eine psychotherapeutische Ausbildung voraussetzen. Im Entwurf wird aber nicht auf Qualifikation, sondern im Wesentlichen unbegründet auf zwei Berufsgruppen abgestellt, PsychologInnen und PädagogInnen – unabhängig davon, ob einschlägige Berufserfahrung vorhanden ist. Die hoch qualifizierte Berufsgruppe der PsychotherapeutInnen und andere qualifizierte Berufsgruppen sind als MitarbeiterInnen der Familiengerichtshilfe, als professionelle BeraterInnen, als Kinderbeistand, BesuchsmittlerInnen, BesuchsbegleiterInnen etc. nicht zugelassen! (Siehe Seite 5)
- Insbesondere dem Kind werden zahlreiche und unterschiedlich qualifizierte Betreuungs- und Bezugspersonen, sowie häufige Befragungssituationen zugemutet; (siehe Seite 6)
- Im Zusammenhang mit der Familiengerichtshilfe erfolgt erneut ein Eingriff in die psychotherapeutische Verschwiegenheitsverpflichtung, mit den bereits bekannten nachteiligen Folgen für die Behandelten, insbesondere Kinder betreffend, die nicht selbstbestimmt von der Verschwiegenheit entbinden können. (Siehe Seite 6)
Nicht zuletzt eine Anregung:
Die Formulierung in § 138 Abs 10, „die Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen des Kindes“ erscheint missverständlich und sollte präziser auf Schuldgefühle bezogen werden, die als Reaktion auf familiäre Problemkonstellationen und Trennungskonflikte der Eltern entstehen (siehe Erläuterungsbericht).
Zu den Punkten im Einzelnen:
Namensrecht:
Der Wegfall der Vorrangigkeit des Vaternamens beim Familiennamen der Ehegatten und der Ersatz durch den Mutternamen beim Namen des Kindes, wenn keine Einigung besteht, bzw. die Beibehaltung des jeweils eigenen Namens der Eltern (§§ 93 f, 155 Abs 3) ist zu begrüßen.
Kindeswohl (§ 138) und Gewalt als ausdrückliches Kindeswohlrisiko:
Die Rechte zwischen Eltern und Kindern sehen zum Schutz des Kindes vor körperlichem oder seelischem Leid ausdrücklich eine Erziehung ohne jegliche Gewalt vor. Auch wird die Vermeidung der Gefahr für das Kind, Gewalt zu erfahren oder mitzuerleben ausdrücklich als Kindeswohlkriterium festgeschrieben. Diesen Regelungen kommt aus
psychotherapeutischer Sicht besondere Bedeutung zu, da direkt oder indirekt erlebte körperliche, seelische oder sexualisierte Gewalt zur Traumatisierung führen kann und einen erheblichen Risikofaktor für die gesunde körperliche und seelische Entwicklung des Kindes darstellt.
Auch die Miteinbeziehung von Lebensgefährten in die Schutzrechte der Kinder entspricht der Lebensrealität des Kindes in so genannten Patchwork-Familien (§ 139 Abs 2).
§ 162 Aufenthaltsbestimmung
(Abs 2) Der hauptsächlich betreuende Elternteil hat das alleinige Recht, den Wohnort des Kindes zu bestimmen.
(Abs 3) Haben die Eltern nicht vereinbart, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll, darf der Wohnsitz nur mit Zustimmung beider Elternteile oder über Genehmigung des Gerichts ins Ausland verlegt werden. Dabei sind die Rechte der Eltern, Schutz vor Gewalt, Freizügigkeit und Berufsfreiheit zu beachten.
Die klaren Wohnsitzregelungen werden als ein Beitrag zur Stabilität und Kontinuität im Leben eines Kindes und zur Abmilderung von Elternkonflikten gesehen. Begrüßenswert ist auch, dass vom Modell der Doppelresidenz Abstand genommen wurde, da sich die damit verbundene Diskontinuität im Lebensvollzug des Kindes aus psycho- therapeutischer Sicht problematisch auf die Gesamtentwicklung eines Kindes auswirken kann. Viele Kinder reagieren auf ein solches „Nomadenleben“ mit Konzentrations- problemen, Schulschwierigkeiten und Angststörungen.
§ 137 Abs 2 bestimmt, dass die Obsorge einvernehmlich wahrgenommen werden soll. Die Bemühungspflicht wird als Idealvorstellung eingebracht und ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, weil die Abstimmung der Eltern in wichtigen Angelegenheiten „soweit tunlich und möglich“ dem Kind und seinen Bedürfnissen nach Halt und Sicherheit, ausgehend von verantwortungsbewussten Eltern gemeinsam, bestmöglich entgegen kommt.
§ 177 (Abs 1) Verheiratete Eltern sind beide mit der Obsorge betraut. Nichtverheiratete Eltern können künftig vereinbaren, dass auch der Vater ganz oder mit bestimmten Angelegenheiten der Obsorge betraut ist. Die Regelung des § 177 Abs 2 wird als eine konstruktive Lösung dafür angesehen, dass Frauen in der sensiblen Phase kurz nach der Geburt bei der Durchsetzung ihrer Rechte oft eingeschränkt sind. Dies gilt aber auch für Frauen, die Sprachbarrieren oder soziale Benachteiligung aufweisen. Die übereinstimmende Willenserklärung als Voraussetzung und die Notwendigkeit des gemeinsamen Auftretens vor dem Standesbeamten, sowie die Möglichkeit zum Widerruf innerhalb einer acht Wochen-Frist bieten in dieser Angelegenheit für Frauen in Benachteiligungssituationen zumindest einen gewissen Rechtsschutz und Schutz vor einseitigen Drucksituationen. Hinsichtlich der Ausbildung der bis dato noch nie mit Sorgerechtsfragen konfrontierten StandesbeamtInnen werden jedenfalls zusätzliche Fortbildungsmaßnahmen erforderlich sein.
§ 180 Phase vorläufiger elterlicher Verantwortung in strittigen Fällen
(Abs 1) Wenn keine Vereinbarung zustande kommt, oder die alleinige Obsorge be- antragt wird, hat das Gericht, sofern das dem Wohl des Kindes entspricht, für die Dauer von 6 Monate unter Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung, einem Elternteil die hauptsächliche Betreuung des Kindes in seinem Haushalt aufzutragen und dem anderen ein ausreichendes Kontaktrecht zuzuordnen, so dass er auch die Pflege und Erziehung des Kindes wahrnehmen kann – Phase der vorläufigen elterlichen Ver- antwortung.
Im Einvernehmen der Eltern oder auf gerichtliche Anordnung wird festgelegt: Details des Kontaktrechts, der Pflege und Erziehung und der Unterhaltsleistungen.
Nach 6 Monaten hat das Gericht „auf Grundlage der Erfahrungen in der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung und nach Maßgabe des Kindeswohls“ endgültig zu entscheiden. Wenn das Gericht beide Eltern mit der Obsorge betraut, hat es auch festzulegen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird.
Diese Bestimmung wird als problematisch erachtet. Wenn das Einvernehmen der Eltern gestört ist, soll das Gericht zunächst prüfen, welche Maßnahmen dem Kindeswohl entsprechen und ob die Streitteile zu einer Einigung zu bewegen sind. Wenn diese Maßnahmen nicht Erfolg versprechend sind oder keinen Erfolg bringen, hat das Gericht eine vorläufige Regelung für die elterliche Verantwortung zu veranlassen. Aus psycho- therapeutischer und konfliktdynamischer Sicht hat die hier eingerichtete 6-monatige
„Abkühlungsphase“ für hochstrittige Fälle für die endgültige Obsorgeregelung vorent- scheidenden Charakter. Unter Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung soll das Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls die hauptsächliche Betreuung, die Wahrnehmung der Pflege und Erziehung, einen exakten Plan für die Ausübung der Kontaktrechte sowie die Erbringung der Unterhaltsleistungen für die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung bestimmen. Damit ist eine Art Zwangselternschaft begründet. Wegen der eminenten Bedeutung dieser Phase für die endgültige Regelung ist zu befürchten, dass streitende Eltern besonders vor, aber auch während dieser Phase versuchen werden, Fakten in ihrem Interesse zu schaffen. Es steht zu befürchten, dass die Einführung der Abkühlungsphase nicht zur Deeskalation führt, sondern ganz im Gegenteil eine eskalierende Zuspitzung der Auseinandersetzungen befördert oder sogar provoziert. Aber auch Wohlverhalten aus taktischen Gründen von geringer Nachhaltigkeit ist vorstellbar.
In solchen Hochkonflikt-Fällen wäre es ratsam, die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitschlichtung etwa für die Dauer von zumindest 6 Monaten vorzusehen, so dass die Eltern unter Verschwiegenheits-Bedingungen an der emotionalen Verarbeitung der Trennungserfahrung und an einem bestmöglichen Betreuungsmodell für das Kind arbeiten können. Jedenfalls sollte dies Phase in irgendeiner Form professionell begleitet werden.
Auch erscheinen 6 Monate angesichts der wissenschaftlichen Ergebnisse aus der Scheidungsforschung zur Klärung von Obsorge- und Kontaktmöglichkeiten und zur Trennungsverarbeitung wesentlich zu kurz. Ist die Trennung vollzogen, so dauert es üblicherweise zwei bis drei Jahre, bis die Trennung emotional überwunden ist. Ein Fünftel aller Erwachsenen verharren nach Trennung in Emotionen von hoher Feind- seligkeit. Sie tragen Konflikte vor allem über die tägliche Versorgung ihrer Kinder aus. Sie sind nicht in der Lage im Interesse der Kinder konstruktiv miteinander zu kommunizieren oder ein stabiles Betreuungsmodell aufzurichten. Im Trennungsprozess ist mit einer Phase der Neuorientierung und der Stabilisierung üblicherweise erst nach etwa einem Jahr zu rechnen, weshalb diese Phase auf etwa ein Jahr ausgedehnt werden sollte.
Das Gericht soll nun auch beide Eltern mit der Obsorge betrauen können, auch gegen den Willen eines Elternteiles. Bei Uneinigkeit und Konflikten ist es für alle Beteiligten besser, wenn ein Elternteil alleine verantwortlich ist. Die gemeinsame Obsorge in strittigen Fällen gerichtlich anzuordnen, in denen aktuell keine Kooperationsbereitschaft herrscht, erscheint nur dann sinnvoll, wenn prognostisch für die Zukunft anzunehmen ist, dass es der Familie in naher Zukunft gelingen wird, eine positive und zufriedene Beziehung wieder herzustellen. Das ist der Fall, wenn Trennungsreaktionen und überzogenes Elternverhalten nur situativ und nur im Bezug auf den Partner auftreten. Verordnete gemeinsame Obsorge in nachhaltig strittigen Fällen würde ansonsten den Kampf auf dem Rücken des Kindes verschärfen und prolongieren. Jede gemeinsame
Vertretungsaufgabe kann dann Anlass für einen neuen Konflikt über verschiedene Teilbereiche der elterlichen Sorge werden, mit dem dem Partner eine Lektion erteilt werden soll. Leidtragende sind in solchen Fällen die Kinder, die beispielsweise miterleben müssen, dass Eltern das Kind in Schule oder Kindergarten zum Streitthema machen. Kinder brauchen eine klare Orientierung und sollen durch elterliche Konflikthandlungen nicht verunsichert oder gar in elterliche Entscheidungsposition (Parentifizierung) und Loyalitätskonflikte gezwungen werden.
Es wird daher angeregt insbesondere § 180 in seinen Auswirkungen nochmals zu überdenken und eine außergerichtliche Streitschlichtungsstelle einzurichten.
Kontaktrechte, Informations- und Äußerungsrechte (§ 186 bis 189): Die formulierte Pflicht des Elternteils zur persönlichen Beziehung einschließlich persönlicher Kontakte, sowie das Recht des Kindes und jedes Elternteils auf regelmäßigen und den Bedürfnissen des Kindes entsprechenden Kontakt, sowie die Informations-, Äußerungs- und Vertretungsrechte sind positiv zu bewerten, da sie den Bedürfnissen des Kindes nach stabilen Bindungen und gelebter Beziehung mit seinen Bindungspersonen entsprechen und dem Recht jeden Elternteils auf ein inniges und von Verantwortung getragenes Naheverhältnis mit seinem Kind entgegen kommen. Entscheidend ist auch, dass das Kindeswohl bei sämtlichen dieser Regelungen oberster Grundsatz bleibt.
Kritische Anmerkungen zur Änderung des Außerstreitgesetzes
§ 95, Beratungseinrichtungen:
Bei Scheidung sollen die Eltern vor Abschluss einer Regelung eine Bescheinigung über die Inanspruchnahme einer Beratung erbringen, in welcher die spezifischen aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse des Kindes erörtert werden. Als für die Einzel- oder Gruppenberatung anerkannte Einrichtungen werden ausschließlich etablierte Familienberatungsstellen, aber auch freiberuflich tätige PsychologInnen und PädagogInnen genannt.
Es ist völlig unverständlich, weshalb hier aus dem breiten Feld der für die Beratungs- leistung qualifizierten Berufsgruppen gerade und ausschließlich PsychologInnen und PädagogInnen – ohne Nennung spezifischer Qualifikationserfordernisse – heraus- gehoben und andere qualifizierte Berufsgruppen ausgeschlossen werden.
Für einschlägig tätige PsychotherapeutInnen, deren fachliche Qualifikation nicht nur aus der Ausbildung, sondern auch aus der Behandlungserfahrung und den psychotherapie- wissenschaftlichen Erkenntnissen z. B. der Scheidungsforschung, der Bindungs- forschung etc. resultiert, wird jedenfalls der Anspruch erhoben, als qualifizierte Anbietergruppe miteinbezogen zu werden.
Familiengerichtshilfe (§ 106), Kinderbeistand (§ 104), BesuchsmittlerIn, BesuchsbegleiterIn:
Dies gilt ebenso für die Tätigkeit des Kindesbeistands, der BesuchsbegleiterInnen, der BesuchsmittlerInnen und der Mitarbeit in der Familiengerichtshilfe.
Bei der Arbeit mit (Hoch-)Konfliktfamilien befinden sich sämtliche professionelle HelferInnen in einem familiären Feld, in dem die Konfliktdynamik der Familie die Gefahr mit sich bringt, auch das Helfersystem zu polarisieren und zu spalten. Es gilt in Fachkreisen als eine der Ursachen für hohes Konfliktniveau und die Ausweitung des familiären Konfliktes, wenn das Helfersystem und das soziale Netzwerk nicht ausreichend in der Lage sind, die Konfliktdynamik des Familiensystems zu reflektieren und beginnen, agierend und (unbewusst) parteiisch in den Konflikt einzugreifen.
Für Hilfestellungen in einem Hochkonfliktsystem ist ein hohes Maß an Fach- und Erfahrungswissen erforderlich. Die Personen im Helfersystem müssen eine qualifizierte Ausbildung haben. Das gilt besonders für alle professionellen HelferInnen, die
Einigungsversuche anbahnen oder erarbeiten helfen, für Kinderbeistand bzw. BesuchsmittlerInnen sowie BesuchsbegleiterInnen und alle Personen, die Befragungen der Kinder durchführen. Eine qualifizierte Ausbildung umfasst insbesondere ein hohes Maß an Selbstreflexionskompetenz durch eine ausreichend lange Selbsterfahrung, das Beherrschen von psychotherapeutischen Interventions- und Gesprächstechniken, psychotherapeutisches Prozess- und Veränderungsverständnis, ein gut abgegrenztes Rollenverständnis, Kenntnis trennungstypischer Krankheitsbilder bei Kindern und bei Erwachsenen und die Kenntnis scheidungstypischer Konfliktdynamiken im Kind und im System Familie.
Die erforderliche Qualifikation der in diesem Feld tätigen Berufsgruppen-Angehörigen stammt also wesentlich aus dem Bereich der Psychotherapie, baut auf psychotherapeutische Erkenntnisse auf oder schließt diese wesentlich mit ein. Die sachverständig tätigen PsychotherapeutInnen sowie die PsychotherapeutInnen, die mit Kindern oder Familien in Beratungseinrichtungen, psychosozialen Institutionen, Krankenanstalten o. ä. und im niedergelassenen Bereich arbeiten, zählen demnach zu den bestqualifizierten Personen.
Besonders das Ausloten und Anbahnen von Einigungsmöglichkeiten und die lösungsorientierte Arbeit mit den Familien, künftig eine Aufgabe der Familien- gerichtshilfe, gehört zu den Kernkompetenzen der PsychotherapeutInnen und der psychotherapeutisch qualifizierten MediatorInnen.
Es wird daher gefordert, die Berufsgruppe der PsychotherapeutInnen sowie alle anderen entsprechend qualifizierten Berufsgruppen durchgängig mit zu berücksichtigen und als gleichberechtigte LeistungsanbieterInnen in den oben genannten Bereichen zu integrieren. Sinnvoll wäre ohnehin, nicht zwei Berufsgruppen – PsychologInnen und PädagogInnen – unspezifisch hervorzuheben und gleichzeitig andere auszuschließen, sondern stattdessen die für die jeweilige Funktion erforderliche Qualifikation zu beschreiben.
Anhörung und Betreuung der Minderjährigen:
Bedenklich erscheint, dass Kindern offenbar mehrmalige Befragungen – Familien- richterInnen, Familiengerichtshilfe, Jugendwohlfahrt, Sachverständige – und viele verschiedene Betreuungspersonen in unterschiedlichen Funktionen – Kinderbeistand, BesuchsmittlerInnen, BesuchsbegleiterInnen, begutachtende PsychologInnen etc. zugemutet werden. Die zahlenmäßige Beschränkung von Befragungen und die Kon- zentration und Beschränkung auf einige wenige professionelle Betreuungspersonen erscheint unter dem Aspekt der Zumutbarkeit und der Aussagekraft und angesichts der ohnehin hohen emotionalen Belastung des Kindes im Trennungskonflikt erforderlich.
Es wird daher empfohlen, die Möglichkeit zur Wiederholung von Anhörungen und Befragungen einzuschränken.
§ 106 (Abs. 2) Familiengerichtshilfe:
Die Familiengerichtshilfe kann Personen, die Informationen haben, laden und befragen sowie unmittelbaren Kontakt mit dem Kind herstellen.
Hier stellt sich die Frage, ob damit nicht wesentliche Eingriffsrechte in die Privatheit der Familie und ein gravierendes Rechtsschutzdefizit für die Betroffenen verbunden sind. Welche Möglichkeit haben Familien, wenn sie verhindern wollen, dass Schulen oder Kindergärten, PsychotherapeutInnen oder ÄrztInnen, Freunde und Bekannte zu ihrem Familienproblem geladen und befragt werden? Werden Eltern nach ihrer Zustimmung gefragt, müssen beide Elternteile zustimmen? Welche Einspruchsrechte bestehen hinsichtlich der Anordnung von Maßnahmen, z. B. im Bezug auf Versuche eine gütliche Streitbeilegung anzubahnen? Können betreuende oder diagnostizierende Personen
abgelehnt werden, z. B. weil sie nicht das Vertrauen der Betroffenen genießen? Was können Eltern tun, wenn sie mit dem Ergebnis einer Stellungnahme oder mit einem Befund nicht zufrieden sind und sie sich dagegen aussprechen wollen?
Darüber hinaus sind Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaft, Gerichte sowie Einrichtungen zur Unterrichtung, Betreuung und Behandlung minderjähriger Personen auskunftspflichtig, sie haben Einsicht in die Akten zu gewähren. Von dieser Regelung sind offenbar auch PsychotherapeutInnen nicht ausgenommen. Die Möglichkeit zur Aufhebung der psychotherapeutischen Verschwiegenheitsverpflichtung und dass den PsychotherapeutInnen im Zivilverfahren kein Entschlagungsrecht zugestanden wird, hat sich bereits in der Vergangenheit negativ auf Behandlung und Behandlungs- erfolge ausgewirkt. Das betrifft insbesondere Kinder, die eine Entbindung von der psychotherapeutischen Verschwiegenheitsverpflichtung nicht selbstbestimmt vor- nehmen können und somit auch im eigentlich geschützten oder geschützt vermuteten Bereich der Psychotherapie von Instrumentalisierung durch die Eltern/einen Elternteil bedroht sind. Die Praxis zeigt, dass psychotherapeutische Behandlungsinhalte und
-ergebnisse im strittigen Obsorgeverfahren zunehmend als Waffe gegen den anderen Elternteil instrumentalisiert und missbraucht werden, während die psycho- therapeutische Behandlung des Kindes, aber auch die der Eltern/eines Elternteiles gerade im Umfeld strittiger Obsorge- und Kontaktregelungen den für die Behandlung von tief greifenden emotionalen Problemen unabdingbaren Vertrauens- und Intimitäts- schutz in einem ganz besonders hohem Ausmaß erfordern.
Es wird daher dringend empfohlen, diese Regelung für den Bereich der Psychotherapie zu überdenken bzw. spezifische Einschränkungen hinsichtlich der Auskunftspflicht und Verpflichtung zur Gewährung von Akteneinsicht vorzunehmen.
§ 107 (Abs 3) Anordnung von Maßnahmen:
Es wird begrüßt, dass das Gericht zur Sicherung des Kindeswohls im Verfahren notwendige Maßnahmen anordnen kann. Dabei kann auch die Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation oder über ein Schlichtungsverfahren angeordnet werden. Aus fachlicher Sicht ist aufgrund der guten Ausbildung und des einschlägigen Erfahrungshintergrunds der FLAG Co-MediatorInnen, die Mediation gemäß §39c FLAG 1967 anbieten, vorrangig die Zuweisung zur geförderten Familienmediation/FLAG Co- Mediation anzuraten, in der derartige Problemstellungen spezialisiert zur Bearbeitung kommen. Es wird daher dringend empfohlen, eine diesbezügliche Ergänzung im Gesetzestext vorzunehmen.
Im Namen des ÖBVP ersuche ich dringend, die genannten Änderungsvorschläge zu berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr.in Eva Mückstein Präsidentin des ÖBVP