Rechtspsychologie im Berufsverband Österreichischer PsychologInnen der Fachsektion
BUNDESMINISTERIUM FÜR JUSTIZ
Museumstraße 7
1070 Wien
Wien, 5.11.2012
Betrifft: Stellungnahme zum Entwurf des Kindschafts- und Namensrechts- Änderungsgesetz 2012 (KindNamRÄG 2012), der Fachsektion Rechtspsychologie im Berufsverband Österreichischer PsychologInnen GZ: BMJ-Z4.500/0046-I 1/2012
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP), insbesondere die Fachsektion Rechtspsychologie, bedankt sich für die Möglichkeit zum Entwurf des Bundesgesetzes,KindNamRÄG 2012 – wie folgt – Stellung zu nehmen:
1) Zum Anspruch der Wissenschaftlichkeit:
Der neue Gesetzesentwurf zeigt keinerlei wissenschaftlichen Hintergrund, obwohl er diesen im Vorblatt S. 1 für die Bereiche Psychologie und Sozialarbeit für sich beansprucht. Die im Entwurf genannten Literaturangaben stellen keine evidenz- basierten und gegengesicherten Studien dar, sondern vielmehr das Zusammenfassen verschiedener, eklektizistischer Denkansätze vor dem Hintergrund der deutschen Rechtsprechung (etwa Bergmann/Jopt/Rexilius). Die verantwortungsbewusste Übertragung auf österreichische Verhältnisse war damit nicht gegeben noch fanden entsprechende Studien hierzu statt!
Auch zeigt die angegebene Zusatzliteratur (etwa Figdor) keinerlei empirische Basis
und kommt dazu noch aus einem anderen Arbeitsfeld (Pädagogik). Zudem versperrt man sich mit diesen Ansätzen den systemischen Entwicklungen der letzten 35 Jahre in diesem Bereich! Insbesondere Zwangsberatungen, das Hoffen auf Meinungsumschwünge durch Beratungen oder Interventionen stellen eine Illusion in einem aufgeklärten postmodernen Gesellschafts-Kontext dar.
2) Zur Familiengerichtshilfe:
„Die Qualität der Rechtsprechung hängt ganz entscheidend davon ab, ob der Sachverhalt richtig und vollständig festgestellt wird (Griss, 2012).“1
Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Kinder, haben einen Anspruch auf höchste Qualität der Rechtsprechung und der vorangehenden Überprüfungen ihrer Lebensumstände, welche durch die Familiengerichtshilfe nicht eingelöst werden kann.
Der Familiengerichtshilfe wird zwar ein umfassender Tätigkeitsbereich zugeschrieben, aber bereits etablierte Standards zur Qualitätssicherung werden negiert. Dies muss zwangsläufig zu einer Qualitätsminderung in der Sachverhaltsfeststellung führen, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Qualifizierung des Personals:
Im Vorblatt (S. 9) wird von „geeigneten Fachkräften“, nämlich „Psychologen und Sozialarbeitern“ als Mitarbeiter der Familiengerichtshilfe gesprochen. Hingegen werden etwas später (S. 10) auch Pädagogen dafür genannt. Pädagogen besitzen europaweit keine gesetzliche Berufsregelung und haben nicht die fachliche Kompetenz, psychologische Untersuchungsmethoden anzuwenden und gar daraus Schlüsse für Menschen und deren spezielle Persönlichkeitseigenschaften zu ziehen. Sie haben, speziell auch in Österreich, keine verbindlichen postgradualen Curricula oder Fortbildungspflichten für derartige Tätigkeiten. Der neue Gesetzesentwurf suggeriert damit die gleiche fachliche Kompetenz verschiedener Berufsgruppen, welche definitiv nicht gegeben ist. Zudem werden seit Jahrzehnten bestehende gesetzliche in Österreich verankerte Regelungen für etablierte Berufsgruppen ad absurdum geführt.
Im Gesetz finden sich dann überhaupt keine Angaben, welche beruflichen Ausbildungen und Standards Voraussetzung für eine Tätigkeit in der Familiengerichtshilfe und für die Familiengerichtshilfe sind. Vielmehr ist die Justizbetreuungsagentur berechtigt, Verträge über die Bereitstellung von Experten für Ermittlungsverfahren etc. abzuschließen (Artikel 4, 1. § 2 und 2. § 2), wobei der Begriff Experte in keiner Weise definiert ist.
b) Zur rechtlichen Vorgangsweise und methodischen Kompetenz der Familiengerichtshilfe:
Personen ohne entsprechende Qualifikation können die Erziehungsfähigkeit der Eltern nicht überprüfen.
Bei Fragen der Obsorge und des Kontakts ist als erster Schritt die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu überprüfen, insbesondere dahingehend, ob durch einen Elternteil eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist. Die Erziehungsfähigkeit ist immer in der Person der Eltern in Hinblick auf das Kind begründet und bedarf bei Verdachtslage hinsichtlich einer etwaigen (psychischen) Störung einer Befundung, welche laut Gesetz nur durch klinische Psychologen oder durch Ärzte vorgenommen werden darf. Eine so genannte „psychologische Expertise“ – wie im Gesetzesentwurf formuliert – ist als Begriff nicht definiert und kann nicht als Ersatz für einen Befund oder ein Gutachten herangezogen werden bzw. unterliegt denselben Qualitätsansprüchen wie ein Gutachten. Eine Befundung gegen den Willen der Betroffenen darf nicht vorgenommen werden.2 Die Sozialarbeiter und Pädagogen haben keine entsprechende gesetzliche Kompetenz, Befund und Gutachten oder etwa Stellungnahmen über etwaige psychische Störungen zu erstellen. Die Pädagogen haben für ihre Tätigkeit keine offizielle Ethikrichtlinie. Freiwilligkeit in der Befunderstellung ist das oberste Gebot und wird auch jedem Straftäter zugestanden. Warum aber nicht den Parteien im Außerstreitverfahren?
Die Eignung der Eltern für Beratung, Mediation, Antiaggressionstherapie, Besuchsmittlern etc. soll von Personen überprüft werden, deren berufliche Ausbildung nicht festgelegt ist. Interventionen dieser Art gegen den Willen der Betroffenen können unter Umständen zu einer Verschlechterung des Zustandes der Betroffenen führen und sollten deshalb nur von entsprechend qualifizierten Berufsgruppen vorgeschlagen werden.
Die laut Gesetzesentwurf verordnete Beratung müsste Qualitätsstandards entsprechen, wobei unklar ist, wer diese Überprüfung in der Justizbetreuungsagentur mit entsprechender Kompetenz vornehmen könnte.
Der neue Gesetzesentwurf sieht verpflichtende Beratungen vor und beschreibt gleichzeitig, dass Mediation nur freiwillig geschehen kann. Dies ist ein Widerspruch in sich!
Es ist eine Illusion anzunehmen, dass Beratungen Meinungen verändern können und Menschen dabei „einsichtig“ für das richtige Handeln des Gerichts werden. Menschen handeln aus ihrer Sicht immer sinnvoll. Man kann diese ihre Meinung nicht generell beeinflussen. Auch die systemische Pädagogik verweist darauf, dass es eine Illusion ist, Menschen durch Argumente zu belehren. Warum baut der neue Gesetzestext auf dieser naiven Annahme einer einfachen Beeinflussung auf?
Die Erhebung des Kindeswillens ist ein komplexer Vorgang, bei dem psychologische Kenntnisse und die Kenntnisse von allfälligen Einflussfaktoren Voraussetzung sind.
Der Kindeswille soll durch Kinderbeistände erhoben werden und zwar in völlig intransparenter und zeitaufwendiger Weise. Wie wird der Wille des Kindes vom Gericht bewertet, wenn die Umstände und Rahmenbedingungen nicht offengelegt
sind, unter denen die Willensäußerung zustande kam? Die Arbeitsweise des Kinderbeistandes ist intransparent (im Gegensatz zum Verfahrensbeistand in Deutschland) und umfasst oft viele Stunden, sodass eine gewollte oder ungewollte Beeinflussung des Kindes zu erwarten ist. Wie soll das ein Fachmann oder gar ein Richter ausreichend und richtig berücksichtigen!?
Der neue Gesetzesentwurf bezieht sich dabei wiederholt in seiner Literatur auf Deutschland (Dettenborn). In Deutschland wird die entwicklungspsychologische Analyse des Kindeswillens (nach Dettenborn) ausschließlich von Psychologen im Rahmen einer familienpsychologischen Begutachtung durchgeführt und bewertet. Die isolierte und durch fachfremde Personen durchgeführte Abklärung des Kindeswillens entspricht daher nicht den fachlichen Standards und stellt eine eklatante Qualitätsminderung dar.
c) Zur Frage der Konsequenzen und Rechte der Betroffenen:
Durch die Einführung der Familiengerichtshilfe in der vorgelegten Form wird in Grundrechte und wesentliche Lebensbereiche von Eltern und Kinder eingegriffen.
Der neue Gesetzesentwurf sieht eine Menge von neu daran beteiligten Personen vor: Kinderbeistände, Besuchsmittler, Familiengerichtshelfer, Mediatoren, Erziehungsberater, etc. Es gibt keine Studien, wie sich diese Menge an Personen auf das Kindeswohl auswirkt. Eltern befinden sich im Stadium der Trennung in einer erhöhten Belastungssituation, was ihre Emotionen aber auch die Strukturierung ihrer persönlichen Lebensumstände betrifft. Bereits jetzt klagen betroffene Eltern und Kinder über die vielen Termine und die Konfrontation mit so vielen verschiedenen Personen. Es ist zu erwarten, dass sich durch dieses Gesetz die Belastung der Eltern und Kinder wesentlich erhöhen wird.
Das Verfahren wird dadurch für die Eltern und die Kinder kompliziert und nicht überschaubar. Um persönliche Beziehungen zu bearbeiten, bedarf es eines Vertrauensverhältnisses, das sich aber nicht zu einer Vielzahl von Personen aufbauen lässt.
Entscheidungsgrundlagen sollen durch die Familiengerichtshelfer gegen den Willen der Betroffenen eingeholt werden, und zwar durch Befragungen und Einsicht in schriftliche Aufzeichnungen von Lehrern, Betreuern und Behandelnden (Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten und andere). Damit erfolgt eine entscheidende Schwächung der sozialen Netzwerke als Partner Betroffener!
Die betroffenen Eltern und Kinder sind somit mit vielen verschiedenen Personen ausgesetzt, die alle in der Privatsphäre der Betroffenen tätig werden und Befragungen von Lehrern, Betreuern und Behandelnden inklusive Einschau in ihre schriftlichen Unterlagen vornehmen können, ohne dass sich die Befragten und die betroffenen Eltern und Kinder dem entziehen können. Es ist zu bedenken, ob dies nicht im Widerspruch zum Artikel 8, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens steht. Jedenfalls ist diese zwangsweise, vom Einzelnen nicht mehr kontrollierbare Durchleuchtung seiner Privatsphäre ein unzumutbarer Eingriff in sein Leben und widerspricht der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht bestimmter Berufe (Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, etc.) und untergräbt von vornherein die Etablierung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kindern einerseits und den helfenden Berufen andererseits.
Zu bedenken ist auch, dass diese Berufsgruppen von der Familiengerichtshilfe geladen werden können und verpflichtet sind, an dieser Befragung mitzuwirken [§ 106a (2)], widrigenfalls Zwangsmittel durch das Gericht angeordnet werden können. Neben der ethischen Fragwürdigkeit einer solchen Vorgangsweise ergibt sich auch die Frage einer Refundierung ihres Verdienstentgangs oder Vertretung dieser Personen in deren Arbeitsfeld während der Zeit der Befragung durch die Familiengerichtshilfe.
Zur Frage der Kosten für die Betroffenen:
Nach diesem Gesetzesentwurf können auf Eltern unter Umständen im Falle einer Scheidung folgende Kosten zukommen:
- Gerichtskosten
- Anwaltskosten
- Besuchsmittler: € 200 für 3 Monate, für die Folgemonate weitere Kosten
- Kinderbeistand
- Erziehungsberatung
- Mediation
- Antiaggressionstraining
- Sachverständigengutachten
d) Zur Qualitätsüberprüfung der Familiengerichtshilfe:
Es gibt bis dato keine Unterlagen/Ergebnisse, die bestätigen würden, dass die Familiengerichtshelfer bei gleicher Qualität schneller und kostengünstiger arbeiten würden als Sachverständige.
Sachverständigengutachten seien angeblich zu teuer und würden zu lange dauern. Entsprechende Zahlen werden nicht vorgelegt. Hingewiesen wird, dass Gutachten durch allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige innerhalb der vom Gericht gestellten Frist zu erstellen sind, und dass von den Sachverständigen detaillierte Gebührenanforderungen gestellt werden müssen, die vom Revisor überprüft werden.
Die Gerichtshilfe ist erst seit einigen Monaten nur bei einigen wenigen Gerichten tätig, weder wurde sie bis heute von einer unabhängigen Stelle evaluiert noch liegen Ergebnisse der Familiengerichtshilfe für die Nachvollziehung durch eine unabhängige Stelle vor. Publikationen für eine wissenschaftliche Beurteilung liegen ebenso nicht vor. Es wurde bisher nur eine Eigenevaluation durchgeführt, deren Kriterien keinem wissenschaftlichen Standard entsprechen und auch nicht vollkommen offengelegt wurden (famZ 2011/2012). Zudem besteht die Familiengerichtshilfe sogar im Pilotverfahren aus derart vielen verschiedenen Berufsgruppen, dass damit ein nachvollziehbarer Vergleich per se unmöglich ist.
Warum glaubt man über die JBA „billiger“ Gutachten durch „Stellungnahmen“ produzieren zu können. Ein Amtspsychologe produziert etwa 2,5 Stellungsnahmen pro Monat bei einer 100% Anstellung. Zudem sollen die Gerichtshelfer noch die Parteien informieren und Schlichtungen herbeiführen als auch an anderen Gerichten zugleich tätig sein, was geradezu unmöglich erscheint. Wurde dieser Ansatz auf seine Umsetzbarkeit schon kalkuliert!? Wurde dessen Ausgang evaluiert und anderen Verfahren gegenübergestellt? Amtliche Stellungnahmen dauern jetzt schon bis zu 6 Monaten und mehr und sind nicht unabhängig! Der Vorwurf der Parteilichkeit wird somit zusätzlich erhoben werden und wird für weitere Problematiken sorgen. Die Unabhängigkeit der Begutachtung durch unabhängige Sachverständige geht dabei verloren.
Warum baut der Gesetzesentwurf ganze Argumentationsketten auf nicht vorhandenen Ergebnissen über die Familiengerichtshilfe auf, welche nicht einmal in einem längeren Zeitrahmen getestet worden sind, und will diese gleich in Gesetzesform seinen Bürgern und Richtern aufbürden!? Dies erscheint mehr als unverantwortlich und birgt die Gefahr einer Implementierung nicht ausreichend gerechtfertigter Mittel der Intervention.
Wie will der Gesetzesentwurf mit der Tatsache der Haftung umgehen, dass Gerichtshelfer für ihre Schriftstücke und mündlichen Äußerungen privatrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können und keine Pflichtversicherungen, ungleich wie unabhängige Sachverständige, aufweisen!?
e) Zur Beschlussfassung durch das Gericht:
Wie Richter die nun vorliegenden Schriftstücke unterschiedlichster Qualität zusammenführen und gewichten sollen, bleibt ein Rätsel und erscheint geradezu unmöglich. Wie soll ein Richter/eine Richterin ohne entsprechende Fachkunde Schriftstücke von Sozialarbeitern, Beiständen, Besuchsmittlern, Gerichtshilfen, Mediationen, Beratungen, Sachverständigen, etc. bewerten und auch noch Prognosen stellen!?
Es drängt sich der Vergleich auf, dass man einem Richter den Gerichtssachverständigen entzieht und ihn bittet, z.B. die Befunde eines Gerichtsmediziners, Toxikologen, der Sectio, Laborbefunde, chemische Analysen, etc. dann anschließend selbst zu bewerten und ein Urteil darauf aufzubauen.
Es ist unklar, ob die durch die Gerichtshelfer erfolgte Befragung von Personen als Zeugenbeweis oder Parteiaussage qualifiziert wird. Jedenfalls ist zu bedenken, dass durch Aussagen dieser Art viele Fehlerquellen berücksichtigt werden müssen (Krammer, 2012)3.
Die Qualität von Gutachten durch gerichtliche Sachverständige soll durch ihre hohe Sachkunde, ihre Objektivität, ihre Unabhängigkeit und ihre Unparteilichkeit gegeben sein. Es ist zu überprüfen, wie weit dies bei den Familiengerichtshelfern gegeben ist. Jedenfalls ist der Familiengerichtshelfer dem Gericht durch die Justizbetreuungsagentur vorgegeben.
Offen ist, ob die Familiengerichtshelfer sich im Gerichtsverfahren einer mündlichen Erörterung ihrer Expertisen durch die Parteien unterziehen müssen, und wann diese Expertisen den Parteien zur Kenntnis gebracht werden. „Ihre verfahrensrechtliche Stellung im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Parteien und deren Anspruch auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) ist bedenklich und problematisch.“4
„Da diese Experten (Familiengerichtshelfer) jedenfalls den Sachverständigenbeweis – die für Gerichtsverfahren einzige rechtsstaatlich zulässige und unbedenkliche Form, Fachwissen in ein Verfahren einzubringen – nicht ersetzen können, ist nicht zu erkennen, inwieweit damit für die Justiz Einsparungen zu erwarten sind. Als richterliches Fachwissen kann die Beratung durch diese Experten sicher nicht gewertet werden.“5
3) Zur Frage der Besuchsmittler:
Besuchsmittler sollen nur bei der Übergabe der Kinder anwesend sein. Eine Begleitung während der Besuchszeit ist somit nicht vorgesehen, was in bestimmten Fällen aber unbedingt notwendig ist, z.B. Verdacht auf psychische und physische Misshandlung und sexuellen Missbrauch.
Die Übergabe der Kinder soll nach diesem Entwurf somit ohne räumlichen Schutz, also zwangsläufig auf nicht neutralem Boden in der Wohnung eines Elternteils oder im Freien erfolgen, was insbesondere für Kleinkinder bei Hitze oder Kälte eine unzumutbare Belastung darstellt, und die Kinder während der Übergabe weiterhin im Spannungsfeld zwischen den streitenden Eltern stehen.
Besuchsmittler sollen nach diesem Gesetzesentwurf ausschließlich aus dem Kreis der Kinderbeistände rekrutiert werden. Dies stellt eine nicht gerechtfertigte Monopolisierung für diese Berufsgruppe dar und schließt eine Einigung der Eltern auf eine neutrale Person von vornherein aus. Die Auswahl und Ausbildung von Kinderbeiständen obliegt ausschließlich der Justizbetreuungsagentur und ist nicht transparent. Hier sind unabhängige Einrichtungen zu fordern.
4) Zur Neuregelung der Obsorgeregelung:
§ 180. (1) Der Zeitraum von sechs Monaten bei Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung (Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung):
Unklar ist, nach welchen Kriterien ein Elternteil für diesen Zeitraum mit der Obsorge betraut wird, und ob die psychodiagnostisch so wichtige Abklärung von allfälligen Gefährdungsmomenten durch einen Elternteil (z.B. durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Gewalthandlungen, Psychosen, schwere Depressionen, etc.) durch dafür befugte und kompetente Berufsgruppen (Ärzte und klinische Psychologen) erfolgt. Jedenfalls gehört dies zu den schwierigsten und verantwortungsvollsten Tätigkeiten in der Begutachtung durch Sachverständige.
Diese Frist sollte gerade bei Säuglingen und Kleinstkindern wesentlich kürzer sein, um die Voraussetzungen für den Aufbau einer sicheren Bindung zu zumindest einem Elternteil durch eine entsprechende Beschlussfassung sicherzustellen.
5) Zu Maßnahmen durch den Jugendwohlfahrtsträger:
§ 107a. (1) Gerade bei Säuglingen und Kleinstkindern sollte eine ehestbaldige Entscheidung über die gesetzte Maßnahme durch das Gericht getroffen werden, da für diese Altersstufe die Kontinuität in der Betreuung zum Aufbau einer sicheren Bindung von extremer Wichtigkeit ist.
Das Gericht sollte auch die Kompetenz haben, sofern es dem Kindeswohl nicht widerspricht, regelmäßige Besuchskontakte des von seinen Eltern getrennten Kindes zu seinen Eltern anordnen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rotraut Erhard, Leiterin der Fachsektion Rechtspsychologie
Univ.-Prof. Univ.-Doz. MMag. DDr. Salvatore Giacomuzzi Stv. Leiter der Fachsektion Rechtspsychologie
1Griss, I. 2012. In: Rant (Hrsg.) Sachverständige in Österreich. Wien. Hauptverband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs. S. 11
2Richtlinie für die Erstellung von klinisch-psychologischen undgesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten des Bundesministeriums für Gesundheit auf Grundlage eines Gutachtens des Psychologenbeirates vom 23.02.2012
3Krammer, H. (2012): Zur Beweiskraft des Sachverständigenbeweises – Möglichkeiten und Grenzen richterlicher Überprüfung. In: Rand, M.: Sachverständige in Österreich. Hauptverband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs. Wien. S. 273
4Krammer, H. (2012): ebenda. S. 278
5Krammer, H. (2012): ebenda. S. 278